Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
Vom Netzwerk:
Zigarettenschmorlöcher, der silberne Drehknauf schimmerte. Veronika trat näher und las die verblichenen Aufkleber. Sie ließ die Handtasche von der Schulter gleiten und öffnete sie, hielt dann inne, wandte sich kopfschüttelnd ab und lief in der Mitte der schotterbestreuten Straße hinüber zu Peters Haus.
    Es war früher Abend, sie war müde und fühlte, wie ihr dünnes Sommerkleid an Rücken und Achseln klebte. Amseln saßen laut flötend auf Dachfirsten, Antennen und Zäunen. Vor Peters Haus stand der olivgrüne Daimler der Nachbarn. Veronika versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern, doch er fiel ihr nicht ein. Einer der beiden, Veronika konnte nicht erkennen, ob Vater oder Sohn, lag unter dem Auto auf einer Holzplatte mit Rädchen, der andere war mit dem gesamten Oberkörper unter der aufgeklappten Motorhaube verschwunden. Sie sah dicksohlige, weiße Turnschuhe, weite Jeans und die übergewichtigen Körperkonturen der Männer. Kurz dachte Veronika an Otto. Wahrscheinlich saß er gerade mit seinen beiden kleinen Töchtern vor dem Kinderfernsehen. Er hatte neulich erst damit angegeben, »die kryptischen Welten des Zeichentrickfilms für sich entdeckt zu haben«. Vermutlich wäre es keine große Hilfe, wenn er sie jetzt begleitete. Sie blieb auf der gegenüberliegenden Seite stehen und betrachtete das arbeitende Paar. Mehrere Werkzeuge, geschwärzte Lappen und alte Zeitungen lagen auf dem Gehweg. Leise Schlagermusik kam aus dem Wageninneren. Auf der Gartenmauer waren ein paar Limonadenflaschen aufgereiht, in denen noch bunte Reste standen.
    Sie konnte sich nicht entschließen, ins Haus zu gehen, und lauschte der Musik aus dem Fahrzeug. Eine Frauenstimme sang mit schmeichelnder Stimme zu Streicherbegleitung. Veronika versuchte, sich nicht am Text zu stoßen, und überließ sich für einen Augenblick dem tröstenden Klang des Liedes, seinem sanft klopfenden Takt. »Baba, gibsch mir die Kombizange?« kam es unter dem Auto hervor. Der Alte pfiff das Lied mit. Veronika staunte über die mühelose Reinheit der Töne, die durch die Motorhaube gedämpft wurden. Sie sah den fleischigen Arm des Jungen aus der Tiefe emporkommen. Blonde Härchen glänzten in der Sonne, sein Vater reichte ihm das Werkzeug.
    Veronika zögerte einen Augenblick, dann grüßte sie mit lauter Stimme. Die beiden runden Gesichter kamen zum Vorschein, schwere, gut durchblutete Hängebacken, bepelzt mit blonden Schnauzbärten. Sie sahen sich sehr ähnlich und schauten sie gleichermaßen erstaunt an, als habe man sie aus einem Spiel gerissen. Sie wiederholte ihren Gruß und merkte, daß sie in den Dialekt gefallen war. So plapperte sie jetzt auch in übertriebener Munterkeit und Lautstärke weiter. Wie kam sie darauf, daß die beiden taub sein könnten? »Ich muß mal in die Wohnung vom Peter Rau, ich bin«, sie schluckte schwer an dem Wort, »eine alte Freundin der Familie. Wir haben uns doch schon kennengelernt.« Die Schrauber sahen einander an. Der Vater richtete sich ächzend auf, rieb die öligen Hände und sagte: »Die sind wohl alle verreist, da unten. Bleiben sie länger weg?« Er zögerte, wohl, weil Veronika nicht antwortete, schnaufte einmal und sprach hastig weiter: »Ich frag nur wegen dem Garten hinten. Der sieht nicht gut aus. Da ist schon seit Monaten nix mehr gemacht worden. Und vorher war’s auch nicht richtig gut.« Er schüttelte zur Bekräftigung den schweren Kopf, die rosigen Backen wabbelten. »Ich mein bloß, da ist schon lang keiner mehr. Das sieht so aus, als würden die vielleicht wegziehen. Und dann wär die Wohnung da unten wieder zu haben. Mein Sohn«, er pausierte und drehte sich um. Veronika sah, wie der Jüngere die blondbewimperten Augen niederschlug. »Mein Sohn wird bald mit seiner Familie herziehen. Die sind noch in Untertürkheim, und wenn die da unten reinkönnten.« Jetzt brach der nasse Mund in einem unwillkürlichen Grinsen auseinander. »Da kommt nämlich ein Enkele!« Der Vater hatte winzige graue Zähne, die er nur kurz zeigte, denn Veronika erwiderte sein Lächeln nicht. Sie schüttelte den Kopf und trat durch das Gartentor: »Ich weiß wirklich nicht, was passieren wird.« Die beiden blieben mit hängenden Schultern zurück, nickten ihr kurz zu, bevor sie in den Schutz des Fahrzeugs zurückkrochen.
    Der Garten hinter dem Haus lag grün und still vor ihr. Es roch nach Gras und fauligem Obst. Zwei Ringeltauben flogen vom Weg auf. Sie hatten sichtlich Mühe, ihre rundlichen blaugrauen Körper in die Luft

Weitere Kostenlose Bücher