Am Schwarzen Berg
genoß das reißende Geräusch, mit dem ihr Absatz einsank. Dann schloß sie auf.
In der Wohnung war es dunkel, doch die schmalen Lichtpunkte, die durch die Rolladenritzen fielen, genügten Veronika. Sie schaltete keine Lampe ein. Hitze stand zwischen den dunklen Wänden. Es roch nach faulendem Müll und Staub. Sie öffnete die Tür vom Flur ins Bad. Hier schien die Sonne durch das kleine Milchglasfenster. Veronika kniff die Augen zusammen. Unter der Toilette verliefen die welligen dunkelgelben Ränder einer eingetrockneten Urinpfütze. Auf dem Badewannenrand saß ein Gummifrosch in einem zusammengeklumpten Frotteelappen. Im Waschbecken klebte Erbrochenes in bräunlichen Bröckchen. Veronika ging langsam durch die drei Zimmer. Das war nicht mehr die Wohnung, in der Peter, Mia und ihre Kinder gelebt hatten, sondern eine Grabkammer. Ihre Bemalung bestand aus jenen dunklen Rahmen, die ausgeräumte Möbel und Bilder hinterlassen, aus einer Strichmännchenschar, die auf der Kinderzimmerwand ihren spinnenbeinigen Tanz vollführte, aus einem grünen Kaugummiklumpen, der neben einem Rolladengurt klebte wie ein schlafender Laubfrosch. Von allen Türstöcken sprang der Lack in großen Placken ab. Aus der ergrauten Tapete wuchsen die bunten Dornen der Reißbrettstifte. Soßenflecke, Rotweinspritzer und Fingertapser saßen auf der Küchenwand über einem Tisch mit schimmelnden Tellern und halbvollen Gläsern. Am Rahmen der Wohnzimmertür standen die Namen Ivo und Jörn: 24. 1. 2010, 132 cm – 140 cm. Ein Sessel war zurückgeblieben, eine Matratze mit zerknittertem Bettzeug, das einen talgigen Geruch ausströmte. Ein halbleeres Bücherregal. Bunte Müslischachteln in der Küche. Vertrocknete Topfpflanzen auf allen Fensterbänken. Die neongelbe Munition einer Kügelchenpistole in einer Bodenritze. Eine silberne Dose ›Madmax Proteinshake‹. Veronika erreichte die Matratze und ließ sich fallen. In der Wohnung über ihr rauschte eine Toilettenspülung, dumpfe Schritte drangen durch die Decke. Veronikas Oberlippe war schweißbedeckt, sie tastete nach ihrer Handtasche. Wahrscheinlich lag sie noch draußen auf der Terrasse. Vorsichtig rappelte sie sich zwischen den verdreckten Kissen auf. Eine Damenbluse schaute darunter hervor, eng geschnitten, langärmelig, violett. Auch im Dämmerlicht sah Veronika die salzigen Schweißränder unter den Achseln, das Etikett eines Billiglabels im Kragen. Ein leichter Kokosduft stieg aus dem Kleidungsstück, das Veronika nah an ihr Gesicht hielt. Emil war nach ihrem Antrittsbesuch im Etzelweg von Mia begeistert gewesen, hatte wie aufgezogen geplappert: »Eine Schönheit, eine stille Schönheit, wunderbar für ihn, aus demselben Stoff gemacht. Mutig und empfindsam zugleich.« Veronika legte die Bluse zusammen und stopfte sie zurück unter das Kissen.
Veronika hatte Peter einmal mit einem Mädchen gesehen, bald nach seiner Rückkehr aus den USA. In der Dunkelheit des Gartens hatten sie miteinander unter dem Apfelbaum gelegen, der am oberen Ende des Nachbargrundstücks wuchs. Zwischen den flechtenbedeckten Ästen des Ontario hingen noch ein paar Bretter von Peters altem Baumhaus. Hajo hatte damit angefangen, Emil hatte es fertiggebaut. Veronika war auf dem Balkon gestanden, hatte zu den schwarzen Fenstern des Rauschen Hauses hinübergesehen, dann auf den scharfen, hellen Umriß des Pärchens, das sich gänzlich unbeobachtet fühlte. Mit ruhigen, schaukelnden Bewegungen saß das Mädchen auf Peter. Ihr helles Haar mußte ihn im Gesicht kitzeln, als sie sich weit über ihn beugte. Seine Hände streichelten unaufhörlich ihren Rücken. Fledermäuse sausten mit trockenem Flattergeräusch durch die warme Luft. Veronika erinnerte sich, daß sie so lange dort gestanden hatte, bis sie fror und die Nacht die beiden längst verschluckt hatte. Nur ihr Flüstern und Lachen drangen noch lange herüber.
Sie ließ Peters Wohnungstür hinter sich zufallen, schob den Schlüssel wieder unter die Matte und ging auf die Terrasse zurück, wo ihre Handtasche auf dem Stuhl lag. Sie nahm den Flachmann heraus und mußte sich zwingen, ihn nicht ganz zu leeren. Die Schärfe des Cognacs, sein vertrautes Brennen taten gut. Sie setzte sich auf den sonnenwarmen Stuhl und hielt sich mit den Händen an den wackeligen Armlehnen fest. Das Holz war spröde und rissig. Zwei Aurorafalter tanzten mit orangefarbenen Flügelspitzen über die Wiese. Aus dem Vorgarten hörte sie immer noch Radiomusik, im ersten Stock stand ein Fenster
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