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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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hast sie nicht gesehen. Du hast sie nicht gehört. Sie war eisern. Sie sagte, sie hätte den anderen Bewohnern gegenüber eine Verantwortung, das ganze Haus hätte abbrennen können.«
    »Sie übertreibt.«
    »Der Meinung ist sie nicht. Sie sagt, wenn der alte Mr. Emerson nicht den Brandgeruch bemerkt hätte, dann hätte niemand den Topf entdeckt, den Mutter auf dem Brenner stehenlassen hatte, und das ganze Haus wäre in Flammen aufgegangen.«
    »Jeder vergißt mal, das Gas auszudrehen.« Genau das gleiche hatte ich früher am Nachmittag zu Mrs. Winchell gesagt.
    »Das Palm Beach Lakes Seniorenheim ist eine betreute Wohngemeinschaft«, sagte ich, Mrs. Winchell wörtlich wiederholend. »Es ist kein Pflegeheim. Es ist nicht dafür eingerichtet, sich um Alzheimer-Patienten zu kümmern.«
    »Großmama hat Alzheimer?« fragte Sara, die gerade in die Küche kam.
    »Das wissen wir noch nicht«, antwortete Larry.
    »Was tust du da?« fragte ich.
    »Ich mach mein Zimmer sauber.«
    »Du machst dein Zimmer sauber?«
    »Es ist ein einziger Saustall. Ich hab nirgends Platz zu lernen.«
    »Du willst lernen?«
    »Wir haben in ein paar Wochen eine wichtige Prüfung.«
    »Du lernst für eine Prüfung?«
    »Ich hab mir gedacht, ich versuch’s mal«. Sara lächelte. »Wird Großmama wieder gesund?«

    »Ich hoffe es«, sagte ich. »Aber jetzt muß ich ihr erst mal eine neue Bleibe suchen.«
    Zu meinem Erstaunen trat Sara plötzlich zu mir und nahm mich liebevoll in die Arme. »Es wird bestimmt alles gut, Mama«, tröstete sie mich, wie ich zuvor meine Mutter getröstet hatte. Ich drückte sie fest an mich und genoß es, ihre Haut an der meinen zu spüren, als ich mein Gesicht in die schön geschwungene Beuge ihres Halses drückte. Wann hatte sie mir das letzte Mal erlaubt, sie so zu halten? Als ich mir diese Frage stellte, wurde mir bewußt, wie sehr ich ihre Umarmung vermißt hatte.
    »Ich hab dich lieb«, flüsterte ich.
    »Ich dich auch«, sagte sie.
    Ein paar Minuten lang schien es, als würde alles gut werden.

23
    Am Mittwoch morgen genoß ich in aller Ruhe meine zweite Tasse Kaffee und freute mich auf einen Tag, an dem ich mich nach Strich und Faden verwöhnen würde; um zehn eine langersehnte Massage, und halb zwölf eine Kosmetikbehandlung, gefolgt von einem Termin beim Friseur sowie Hand- und Fußpflege. Ich mußte an meine Mutter denken, die Lippenstift auf ihre Fingernägel aufgetragen hatte, und schob den Gedanken schnell weg. Der Mittwoch war mein Tag, meine Oase in der Wüste, mein Tag der Entspannung und inneren Neuordnung. Ich hatte seit Ewigkeiten keinen solchen Tag mehr gehabt.
    Das Telefon läutete. Ich überlegte, ob ich hingehen sollte und gab aber nach dem dritten Läuten nach. »Hallo?« Hoffentlich nicht die Masseuse, dachte ich, um den Termin abzusagen.
    »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie nett es neulich war, Sie zu sehen.« Es war eine Männerstimme.
    »Wer spricht da?« Die Muskeln an meinem Hals verkrampften sich. Ich wußte schon, wer es war.

    »Wie war’s am O-osborne-See?« fragte Colin Friendly.
    Ich sagte nichts. Mein Blick schoß automatisch zu den Fenstern, zur Schiebetür aus Glas.
    »Und wie geht es meinen hübschen zukünftigen Nichten?«
    Ich knallte den Hörer auf. Meine Hände zitterten. »Hol dich der Teufel!« schrie ich. »Laß meine Kinder aus dem Spiel, du mit deinen dreckigen Phantasien.«
    Ich rannte herum, bis mir der Kopf schwamm und meine Knie weich wurden. »Laß dich doch von dem nicht fertigmachen«, sagte ich laut zu mir selbst. Ich sank auf einen Stuhl, wütend, daß er solche Macht über mich hatte. »Von dir lasse ich mich bestimmt nicht fertigmachen«, sagte ich und griff nach dem Telefon, um die Anstaltsleitung in Starke anzurufen. Aber da klingelte das Telefon schon wieder.
    Ich starrte den Apparat an, ohne mich zu rühren. Dann nahm ich langsam den Hörer ab, hob ihn zögernd an mein Ohr, wappnete mich gegen das Stottern, und sagte nichts.
    »Hallo?« rief eine Frau. »Hallo, ist da jemand?«
    »Hallo?« fragte ich zurück. »Mrs. Winchell?«
    »Ja. Mrs. Sinclair, sind Sie das?«
    Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, ihr zu sagen, ich sei die Zugehfrau, Mrs. Sinclair sei leider nicht zu Hause und würde auch vor dem Abend nicht zurückkommen. »Ja«, sagte ich statt dessen. »Was gibt es denn?«
    »Ich wollte nur fragen, ob Sie inzwischen eine andere Unterkunft für Ihre Mutter gefunden haben«, begann sie ohne Umschweife.
    Ich teilte ihr höflich mit, daß

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