Am Seidenen Faden
sagte sie, als ich in meinen Wagen stieg.
Zwanzig Minuten später tauchten die beiden Türme des Breakers Golf and Beach Club vor mir auf. Automatisch fiel mir das neue Gerichtsgebäude von Palm Beach ein, dessen Kuppeldächer diesen Türmen nachempfunden waren. Lieber Gott, warum mußte ich gerade jetzt daran denken? Das war doch nun wirklich nicht der Moment, an meine Schwester und ihre Vorliebe für kaputte Typen zu denken.
Ein unangenehmer kleiner Gedanke drängte sich mir auf, wie ein Regenwurm, der durch feuchte Erde stößt. So unterschiedlich waren meine Schwester und ich gar nicht. Wir schmachteten beide charakterlosen Männern nach. Meine Schwester war dabei, für einen von ihnen ihr Leben zu ruinieren. Und ich? War ich im Begriff, das gleiche zu tun?
Mach dich nicht lächerlich, sagte ich mir scharf, als ich den Wagen in die lange Auffahrt lenkte, die zum Breakers Hotel führte. Du hast nicht vor, dein Leben zu ruinieren. Du willst nur einiges loswerden, was dich belastet.
Wie zum Beispiel deinen schicken Spitzen-BH? spottete mein Spiegelbild, als ich in den Rückspiegel sah.
»Ach, halt die Klappe«, sagte ich laut und schob meinen Wagen in eine Lücke zwischen einem schwarzen Rolls Royce und einem schokoladenbraunen Mercedes.
Schnell ging ich die U-förmig angelegte Auffahrt hinauf, an dem großen Springbrunnen mit den steinernen Nymphen vorüber, zum Portal des vornehmen alten Hotels, einem Prachtbau alten Stils. Ich eilte vorbei an den Hoteldienern und Pagen mit ihren gestärkten weißen Hemden und den dunkelblauen Epauletten, an den vielen Gepäckwagen, den Golfsäcken, den Topfpalmen,
die den Säulengang säumten. Auf dem roten Teppich ging ich zwischen den hohen ionischen Säulen hindurch, stieß die Glastür auf und trat in das riesige Foyer unter der gewölbten Decke mit den Freskomalereien und den gewaltigen Kristalleuchtern, deren Licht sich abends im Marmorboden spiegelte. Die Wände waren mit Gobelins geschmückt, auf hohen Marmorsockeln standen üppige Blumenarrangements zwischen bequemen Sitzgruppen. Es waren sogar kleine Tische da, an denen man Schach oder andere Brettspiele spielen konnte. Ich ging in meinen hochhackigen Schuhen, die meine Füße marterten, zum langen Empfangstisch.
Ich war früh dran, das wußte ich, ohne auf meine Uhr zu sehen. Robert würde noch nicht hier sein. Dennoch sah ich mich verstohlen um, sorgsam darauf bedacht, mit keinem der vielen anderen Hotelbesucher Blickkontakt aufzunehmen. Ich konnte mir die nächste halbe Stunde damit vertreiben, in den exklusiven Boutiquen herumzustöbern, die sich direkt an das Foyer anschlossen, oder in die Bar gehen und etwas trinken. Larry und ich hatten hier, in dem großen Speisesaal, einmal zu Abend gegessen, kurz nach unserem Umzug nach Palm Beach. Wir hatten gelegentlich davon gesprochen, uns einmal über ein Wochenende im Hotel einzumieten. Aber wir hatten es nie getan. Und jetzt wollte ich mich hier mit einem anderen Mann einmieten.
»Stimmt ja gar nicht«, murmelte ich vor mich hin, blieb kurz vor dem Empfang abrupt stehen und bog scharf ab. »Du bist nur hier, um mit dem Mann zu reden.«
Um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, hm?
Ganz recht.
»Ach hör doch auf!« fuhr ich mich selbst an und setzte mich in einen Sessel, der halb hinter einer üppigen Hortensienstaude verborgen war. Die leuchtend rosafarbenen Blüten sprangen mir beinahe in den Schoß. Es sprach doch alles dafür, daß ich die Wahrheit bereits wußte. Aber das schien keine Rolle zu spielen. Ich war trotzdem hier. Das hieß, das es Konsequenzen geben würde. Wie würden die Konsequenzen einer Affäre mit Robert aussehen? Mußte es überhaupt welche geben?
Auf jede Aktion folgt eine Reaktion, deklamierte ich lautlos, wohlwissend, daß Konsequenzen niemals ausblieben.
Ich hörte Gelächter und drehte mich hastig herum. Die Spitze eines schmalen Blatts stach mich in den Augenwinkel. Keine zwei Meter entfernt von mir stand ein junges Paar, engumschlungen, Mund auf Mund, Körper an Körper, leise schwankend wie in einem imaginären Windhauch. Amüsierte Zuschauer gingen leise um das Paar herum. Soviel Leidenschaft wollte man nicht stören. Am Empfang stand ein etwa sechsjähriger Junge neben seiner Mutter und deutete lachend auf das Pärchen. Seine Mutter ermahnte ihn, nicht mit dem Finger zu zeigen, und sah weg. Doch Sekunden später schon sah sie wieder hin. Ihr Blick war traurig und sehnsüchtig.
Das ist es, was ich mir wünsche, dachte ich
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