Am Seidenen Faden
Polizisten umgeben. Sie könnte nicht sicherer sein.«
»Glaubst du wirklich?«
»Ich weiß es.«
»Danke«, sagte ich. »Ich bin froh, daß ich dich angerufen habe.«
»Ich auch.«
»Wie geht’s deiner Familie?«
»Bestens.«
»Und was macht das Golfspiel?«
»Läuft hervorragend.«
»Bestens«, wiederholte ich. »Hervorragend.«
»Die ganze Familie läßt dich grüßen.«
Da pfeif ich drauf, hörte ich Jo Lynn sagen. »Grüß sie auch von mir«, sagte ich statt dessen.
»Werd ich tun«, sagte er. Und dann: »Du fehlst mir. Ich liebe dich sehr. Das weißt du.«
»Das weiß ich«, antwortete ich. »Ich liebe dich auch.«
Und dann fuhr ich zu meinem Rendezvous mit Robert im Breakers.
Ich redete mir ein, ich führe nur hin, weil ich die Wahrheit wissen wolle; daß ich niemals mit Sicherheit wissen würde, ob die Dinge, die Brandi mir erzählt hatte, wahr waren, wenn ich Robert nicht damit konfrontierte, und daß ich dann den Rest meines Lebens in Ungewißheit und Bedauern verbringen würde. Mit Ungewißheit hatte ich mich schon lange genug zufriedengegeben, und im Moment sah es ganz so aus, als sollte sich mein Leben rapide in einen einzigen großen See des Bedauerns auflösen.
»Hast du was von Jo Lynn gehört?« fragte Sara, die in mein Badezimmer kam, als ich mir gerade mit meinem neu gekauften korallenroten Lippenstift den Mund anmalte.
Ich fuhr zusammen, der Lippenstift fiel herunter und hinterließ einen großen hellroten Fleck auf dem mandelfarbenen Marmor des Schminktischs. Orange wie die Hemden im Todestrakt, dachte ich und wischte hastig mit einem feuchten Tuch den Fleck weg. Dann warf ich den Lippenstift in meine Handtasche und bemühte mich, ruhig und sachlich zu erscheinen.
»Nein, sie hat sich nicht gemeldet.«
»Was willst du tun?«
»Was kann ich tun?«
Sara lehnte sich achselzuckend an die Wand. Sie trug abgeschnittene Jeans und eine der losen indischen Blusen, die sie früher mit Vorliebe angezogen hatte.
»Ich muß gleich weg«, sagte ich, entschlossen, den Rest des Nachmittags nicht an meine Schwester zu denken. Sie würde schon wieder auftauchen, wenn sie sich beruhigt hatte. Das war immer so gewesen.
»Du siehst gut aus.«
»Danke.« Ich versuchte, mir meine Überraschung über das Kompliment nicht anmerken zu lassen, und fragte mich im stillen, ob Sara irgendwie durch meinen beigefarbenen Armani-Hosenanzug
und die helle Seidenbluse hindurch den Büstenhalter und das Höschen in zartrosa Spitze sehen konnte.
»Wohin gehst du?« fragte sie.
»Ich will mir ein paar Heime für Großmama ansehen«, log ich und verachtete mich dafür.
»Ich dachte, das wolltest du morgen tun.«
»Morgen auch«, sagte ich. Seit Monaten hatten wir nicht soviel miteinander gesprochen. Ich fragte mich, wieso dieses Gespräch ausgerechnet jetzt zustandekam.
»Glaubst du, daß du was findest?«
»Ich hoffe es.« Meine Absätze klapperten auf den Fliesen, als ich aus dem Badezimmer ging.
»Woher hast du die Schuhe?«
Lieber Himmel, ihr entging aber auch gar nichts. »Die habe ich mir vor ein paar Wochen gekauft. Wie findest du sie?«
»Sie sind ziemlich hoch«, sagte sie. »In so hohen Absätzen hab ich dich noch nie gesehen.«
»Ich wollt’s einfach mal versuchen. Zur Abwechslung.«
»Wann kommst du zurück?« fragte sie.
»Bald. In zwei, drei Stunden. Vielleicht auch früher«, antwortete ich. Vielleicht auch später, dachte ich. »Warum?«
»Nur so.« Wieder zuckte sie die Achseln, aber sie ging nicht.
»Ist irgendwas?« fragte ich widerstrebend und mit schlechtem Gewissen. Unter normalen Umständen hätte ich mich auf diese Gelegenheit gestürzt, die Kommunikation mit meiner Tochter wiederaufzunehmen, zumal Sara diejenige war, die die Initiative ergriff. Aber warum mußte es gerade jetzt sein? »Möchtest du über irgend etwas mit mir reden?«
»Wieso?«
»Ich weiß nicht. Du wirkst irgendwie unschlüssig.«
»Was soll das denn heißen?« Sofort war sie in Abwehrstellung.
»Gar nichts.« Ich hatte jetzt nicht die Zeit und nicht die Geduld für dieses Gespräch. »Ich muß wirklich los.«
»Vielleicht könnten wir später ins Kino gehen.« Sara folgte mir zur Haustür.
»Du willst ins Kino gehen? Mit mir?«
»Na ja, ich hab ja kein Geld, und mit meinen Freunden darf ich auch nicht ausgehen«, erklärte sie ganz logisch.
»Richtig«, sagte ich, die Situation jetzt etwas besser begreifend. »Wir werden sehen, wenn ich zurückkomme.«
»Bleib nicht zu lange weg«,
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