Am Seidenen Faden
ist es denn?« fragte ich.
»Vor ungefähr einem Jahr«, begann Lois McKay, ohne daß ich sie weiter drängen mußte, »bin ich wie immer zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung gegangen. Die Ärztin fand in meiner rechten Brust einen Knoten. Sie schickte mich zur Mammographie. Um es kurz zu machen, es wurde Krebs festgestellt, und eine Brust mußte amputiert werden. Fragen Sie meinen Mann, was er getrieben hat, während ich auf dem Operationstisch lag.«
»Das ist nicht fair«, protestierte ihr Mann. »Du hast selbst gesagt, daß du mich nicht brauchst, daß ich im Krankenhaus sowieso nichts tun könnte.«
»Wollten Sie ihn denn dabeihaben?« fragte ich.
Lois McKay schloß die Augen. »Natürlich.«
»Hast du gesagt, ich soll Golf spielen gehen oder nicht?«
»Ja, das hab ich gesagt.«
»Aber Sie haben es nicht gemeint«, bemerkte ich behutsam.
»Nein.«
»Warum haben Sie Ihrem Mann nicht gesagt, daß Sie ihn in Ihrer Nähe haben wollten?«
Sie schüttelte den Kopf. Jetzt weinte sie. »So was sollte ich ihm nicht sagen müssen.«
»Erwartest du, daß ich deine Gedanken lese?«
»Ich habe mir gewünscht, daß er bei mir sein wollte «, flüsterte Lois McKay.
»Und es hat Sie verletzt, als es nicht so war.«
Sie nickte.
»Ja, Herrgott noch mal, ich bin doch kein Gedankenleser«, wiederholte ihr Mann.
»Nein, aber du könntest für mich dasein. Es könnte dir vielleicht wichtig sein, ob ich lebe oder sterbe. Du könntest wenigstens den menschlichen Anstand haben, mich im Krankenhaus zu besuchen!«
»Sie haben Ihre Frau nicht besucht, als sie im Krankenhaus lag?« sagte ich.
»Sie weiß genau, wie es mir mit Krankenhäusern geht. Ich hasse die verdammten Dinger. Da krieg ich jedesmal eine Gänsehaut.«
»Fragen Sie ihn, wann er mich das letzte Mal angerührt hat. Fragen Sie ihn, wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben.« Sie fuhr ohne Pause fort. »Wir haben seit vor meiner Operation nicht mehr miteinander geschlafen. Er ist überhaupt nicht mehr in meine Nähe gekommen, nicht ein einziges Mal.«
»Du warst doch krank, verdammt noch mal! Erst die Operation, dann die Bestrahlung. Du warst völlig erschöpft. Sex war das letzte, was dich interessiert hat.«
»Aber ich bin nicht mehr krank. Und ich bin auch nicht mehr erschöpft. Ich hab es nur restlos satt, ignoriert zu werden.« Sie
begann zu schluchzen. »Es ist so, als ob ich überhaupt nicht existiere, als wäre mit meiner Brust gleich meine ganze Person verschwunden.«
Sekundenlang war die einzige Bewegung im Raum das lautlose Zucken ihrer Schultern. Ich wandte mich Arthur McKay zu. Er saß wie erstarrt, das Gesicht so still und angespannt, daß es wie eine Totenmaske wirkte.
»Hatten Sie Angst, als Sie erfahren haben, daß Ihre Frau Krebs hat?« fragte ich.
Er warf mir einen zornigen Blick zu. »Weshalb sollte ich Angst gehabt haben?«
»Weil Krebs etwas Beängstigendes ist.«
»Mit Krebs hab ich genug Erfahrung. Meine Mutter ist an Krebs gestorben, als ich noch klein war.«
»Hatten Sie Angst, daß Ihre Frau sterben könnte?« fragte ich.
Seine Augen blitzten ärgerlich, seine Hände ballten sich wie von selbst zu Fäusten. Er sagte nichts.
»Haben Sie mit Ihrer Frau darüber gesprochen, wie Ihnen zumute war?«
»Das hat sie gar nicht interessiert, wie mir zumute war.«
»Das ist nicht wahr. Ich hab immer wieder versucht, mit dir zu reden.«
»Mein Gott, was spielt das jetzt noch für eine Rolle?« entgegnete er. »Das ist alles Schnee von gestern. Nicht mehr zu ändern.«
»Wie ist es jetzt?«
»Jetzt?«
»Haben Sie jetzt Angst?«
Arthur McKay öffnete den Mund, als wollte er sprechen, schloß ihn wieder und sagte nichts.
»Eine Brustamputation ist in vieler Hinsicht schwerwiegender als viele andere Operationen. Sie ist von großer Tragweite für beide Partner. Wie empfanden Sie die Operation Ihrer Frau? Wie empfinden Sie jetzt?« korrigierte ich mich sofort.
»Ich weiß nicht«, antwortete Arthur McKay ungeduldig.
»Aber ich«, sagte Lois McKay und wischte sich mit einem frischen
Tuch die Tränen ab. »Er findet sie abstoßend. Er findet mich abstoßend.«
»Ist das wahr?« fragte ich. »Fühlen Sie sich abgestoßen?«
Einen langen schrecklichen Moment lang sagte Arthur McKay gar nichts, dann antwortete er: »Wie soll ich mich denn fühlen?«
»Du könntest ja vielleicht froh sein, daß ich noch lebe«, fuhr Lois ihn an.
»Ich bin froh, daß du noch lebst.«
»Du bist froh, aber ich stoße dich ab.«
Wieder
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