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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Chance hatte.
    Aber er ließ sich nicht ködern. Ganz gleich, wie gemein ich wurde, und ich wurde ziemlich gemein, beschuldigte ihn sogar einmal, mehr Interesse für seine Kunden aufzubringen als für seine Tochter, er biß nicht an. Er machte einfach nicht mit. Je weiter er sich zurückzog, desto härter stieß ich nach. Je fester er mit
den Händen das Lenkrad umfaßte, desto loser wurde meine Zunge. Ich schrie, ich kreischte, ich tobte. Er sagte nichts.
    Das, was ich natürlich erhoffte, war, daß er anhalten und mich in die Arme nehmen würde. Daß er einfach an den Straßenrand fahren, anhalten und mich an sich ziehen würde, um mir zu sagen, daß ich eine wunderbare Mutter sei, Sara gegenüber nicht versagt habe, daß alles wieder gutgehen würde, daß ich schön sei. Aber er tat natürlich nichts dergleichen. Es ist schwer für einen Mann, einer Frau zu sagen, sie sei schön, wenn sie ihn beleidigt, ihn in seiner Männlichkeit, seiner beruflichen Arbeit und seiner Tauglichkeit als Vater angreift.
    Zu Hause angekommen, ging Larry schnurstracks ins Schlafzimmer, ohne überhaupt nach Sara zu sehen. Er wußte, daß sie nicht zu Hause war, und ich wußte es auch, obwohl ich dennoch in ihrem Zimmer nachsah.
    »Sie hat nicht angerufen«, sagte Michelle, die schon im Bett war. Es war fast Mitternacht, und ihre Stimme klang schläfrig.
    Ich trat zu ihr ans Bett, beugte mich über sie und küßte sie auf die Stirn. Sie seufzte, als ich ihr das Haar aus dem Gesicht strich, und drehte sich um. »Schlaf schön«, flüsterte ich und schloß die Tür hinter mir, als ich aus dem Zimmer ging. Wenn es später ein Donnerwetter geben sollte, sollte Michelle nicht gestört werden.
    Larry war schon im Bett und tat so, als schliefe er. Meine Wut war verraucht; eine Depression machte sich breit. »Entschuldige, es tut mir leid«, sagte ich. Es war die Wahrheit, und er wußte es, aber ein großer Trost war es nicht. Was ändert es schon, daß man die verletzenden Worte, die man gesagt hat, nicht so gemeint hat? Es ist nun mal eine Tatsache, daß ein anderer sie gehört hat. Und Worte verletzen tiefer als Stöcke und Steine. Sie tun noch weh, wenn andere Wunden längst verheilt sind.
    Ich legte mich neben Larry ins Bett, ohne mich auszuziehen, um bereit zu sein, wenn Sara nach Hause kam. Die Konfrontation sollte auf gleicher Ebene stattfinden. Da Sara ja schon die Jugend auf ihrer Seite hatte, wollte ich nicht noch mehr ins Hintertreffen geraten, indem ich im Nachthemd vor sie hintrat.

    Wir hatten mit Sara vereinbart, daß sie niemals nach zwei nach Hause kommen würde. Ich weiß allerdings nicht, warum ich erwartete, daß sie pünktlich sein würde. Schert sich jemand, der den ganzen Tag den Unterricht geschwänzt hat, noch darum, ob er ein paar Minuten oder Stunden zu spät nach Hause kommt? Kam Sara eigentlich jemals auf die Idee, sich die Konsequenzen ihres Handelns zu überlegen?
    Ernsthafte Sorgen machte ich mir zunächst nicht. Ich war wütend, niedergeschlagen und enttäuscht, aber nicht wirklich beunruhigt. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß sie sich so etwas herausnahm.
    Als es zwei Uhr wurde, ohne daß sie kam, stand ich auf und ging in ihr Zimmer hinüber. Durch die Dunkelheit starrte ich auf ihr ungemachtes Bett. »Wo bist du?« flüsterte ich und kämpfte gegen die wachsende Beunruhigung an. Ich wollte auf keinen Fall an all die schlimmen Dinge denken, die ihr zugestoßen sein konnten. Ich wollte sie nicht blutend in einem Straßengraben liegen sehen, Opfer eines betrunkenen Autofahrers, der geflüchtet war; ich wollte sie nicht geschunden und geschlagen in irgendeiner dunklen Gasse liegen sehen, Opfer eines brutalen Räubers; ich wollte nicht ihre Schreie unter den grausamen Händen eines Sadisten hören, der ihr Gewalt antat. Ich wollte nicht ihr schönes Gesicht auf ein Foto gebannt sehen, aschgrau und leblos, auf einem kalten Stahltisch im Hinterzimmer des gerichtsmedizinischen Instituts. Ich wollte all diese Bilder nicht sehen, aber ich konnte sie nicht abwehren.
    Ich legte mich auf ihr Bett. Der Geruch nach kaltem Zigarettenrauch umhüllte mich. Was war nur los mit ihr? Wußte sie denn nicht, wie viele Verrückte da draußen nur auf naive junge Mädchen warteten, die sich für unbesiegbar hielten? Männer wie Colin Friendly, dachte ich schaudernd und löschte sein Bild aus, indem ich mein Gesicht in die weiche Dunkelheit ihres Kopfkissens drückte.
    Erstaunlicherweise schlief ich ein. Ich träumte von

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