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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem Mädchen, das ich in der High-School gekannt hatte. Sie war vor
einem Jahr im Urlaub nach Florida gekommen, und ich hatte sie zufällig im Gardens Einkaufszentrum getroffen. Ich sah sie zum erstenmal seit unserer Abschlußfeier, aber sie sah immer noch unglaublich jung aus. Voller Schwung und Energie und stolzer Berichte über ihre Familie. Sechs Wochen später hörte ich, daß sie kurz nach ihrer Rückkehr nach Pittsburgh bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Offenbar hatte sie auf einem vereisten Straßenabschnitt die Kontrolle über ihren Wagen verloren und war gegen die Leitplanke geprallt. Der Wagen hatte sich überschlagen; sie war auf der Stelle tot gewesen. Im meinem Traum stand sie in der Tiefkühlkostabteilung von Publix und winkte mir zu. Ich hatte meinen Einkaufszettel verloren, und sie lachte und sagte, ich solle mich nicht aufregen, es würde schon alles gut werden.
    Als ich aufwachte, saß Larry auf der Bettkante und blickte zu mir herunter. »Ich denke, wir sollten die Polizei anrufen«, sagte er.

11
    Wir beschlossen, zuerst Saras Freunde anzurufen.
    Aber so einfach war das nicht. Saras Freunde wechselten. Jedes neue Schuljahr brachte neue Namen. Alte Gesichter verschwanden; neue Gesichter tauchten auf. Dauerhafte Freundschaften schien es nicht zu geben.
    Dieses Muster hatte sich schon sehr früh in Saras Leben gezeigt. Ich weiß noch, daß ihre Kindergärtnerin mich ansprach und sagte, sie habe noch nie ein Kind erlebt, das sich anderen gegenüber so verhalten habe wie Sara. Offenbar pflegte Sara jeden Nachmittag, wenn sie aus dem kleinen gelben Bus stieg, mit dem sie zum Kindergarten gebracht wurde, lauthals zu verkünden, »Heute spiele ich mit Soundso.« Jeden Tag wählte sie sich einen neuen Spielgefährten aus, und jeden Tag gelang es ihr, das betreffende
Kind zu erobern. Am folgenden Tag wechselte sie zum nächsten Kind. Sara band sich niemals dauerhaft an einen bestimmten Menschen, mochten diese flüchtigen Freundschaften auch noch so intensiv und tief empfunden sein. Schon am nächsten Tag wandte sie sich, ohne zurückzublicken, neuen Menschen zu.
    Der Umzug von Pittsburgh nach Palm Beach hatte bei ihr keine wahrnehmbare Wirkung hinterlassen. Sara hatte im Gegensatz zu Michelle keine Freunde zurücklassen müssen. Mehrere Klassenkameradinnen schrieben ihr; Sara antwortete nie. Sie stürzte sich mit dem für sie typischen Enthusiasmus und Überschwang in ihr neues Leben, fand schnell eine neue Clique und flatterte ohne die unnötigen Belastungen, die dauerhafte Freundschaft häufig mit sich bringt, von einem Jahr ins nächste.
    Darum war es schwierig, überhaupt herauszufinden, bei wem Sara sein könnte. »Jennifer«, sagte ich, einen Namen nennend, den ich von Zeit zu Zeit von Sara gehört hatte.
    »Jennifer wer?« fragte Larry durchaus vernünftig.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung. Und ebenso wenig Ahnung hatte ich, welche Nachnamen zu Carrie, Brooke und Matt gehörten.
    »Aber Carries Nachnamen weiß ich«, erklärte ich und rief mir das Bild eines jungen Mädchens mit taillenlangem blondem Haar und schwarzen Jeans, die über einem breiten Gesäß spannten, ins Gedächtnis. »Sie war vor ein paar Wochen mal hier. Du hast sie auch gesehen, Carrie … Carrie … Carrie Rogers oder Rollins oder so ähnlich. Irgend etwas mit R.«
    Die Tatsache, daß ich mich nicht an einen einzigen Nachnamen der sogenannten Freunde unserer Tochter erinnern konnte, beschämte mich. Wie können Sie sich eine gute Mutter nennen, hörte ich schon die Polizei sagen, wenn Sie nicht einmal wissen, wer die Freunde Ihrer Tochter sind?
    »Hat sie denn kein Adreßbuch?« fragte Larry schließlich, und wir begannen, in Saras überall verstreuten Sachen zu wühlen wie Ausgebombte, die nach einem Restchen Habe suchen. Wir sammelten
Kleider vom Boden auf, einige schmutzig, einige frisch gewaschen, hoben liegengelassene Kassetten auf, klappten offene Bücher zu. Wir fanden Bleistifte und Münzen und Papierfetzen, ganz zu schweigen von einem angebissenen Brötchen unter dem Bett.
    »Schau mal«, sagte ich und hörte, wie eine seltsame Wehmut sich in meine Stimme schlich, als ich vier leere Zigarettenschachteln hochhob. »Sie sammelt immer noch.«
    »Hier ist es!« Larry zog ein zerfleddertes schwarzes, in Leder gebundenes Büchlein unter mehreren Tuben Make-up hervor. Er schlug es auf, und Puderreste rieselten auf den Teppich wie Schnee. »Unter R steht nichts«, sagte er.
    »Versuch’s bei

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