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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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… was?»
    «Mein Gott – er hat’s natürlich nicht wörtlich so gesagt!» Stu fand seinen Vater zum Verzweifeln – alles nahm er wörtlich … «Er stellt sein Amt zur Verfügung, hat er gesagt, wenn es zu einer Spaltung kommt.»
    «Das hätte er nicht sagen dürfen!» Das verkrampfte Lächeln spielte wieder um Gorfinkles Mund. «Nicht zu euch Kindern.»
    Stu merkte, dass sein Vater jetzt sehr sehr ärgerlich war, aber die Unterstellung, ihn und seine Freunde gehe das alles nichts an, wurmte ihn. «Was soll das heißen – euch Kindern?»
    «Ich meine, dass er euch beeinflussen wollte. Und dazu hat er kein Recht.»
    «Ist es nicht eben die Aufgabe des Rabbiners, Leute zu beeinflussen. Besonders junge Leute?»
    «Es gibt eine legitime Beeinflussung, und es gibt eine Beeinflussung, die ganz und gar unverantwortlich ist», gab sein Vater zurück. «Wenn der Rabbi von der Kanzel über unsere Religion und Tradition predigt, so ist das legitim. Dafür wird er bezahlt. Aber er hat kein Recht, sich in die Gemeindepolitik einzumischen. Wenn er die eine Partei der andern vorzieht, so darf er es nicht zeigen. Und wenn er unreifen Halbwüchsigen seine Ansichten aufdrängt – Kindern, die keine Ahnung haben, worum es geht, dann ist es unverantwortlich … Ich werde mal ein Wörtchen mit ihm reden!»
    «Augenblick mal!» Stu war plötzlich beunruhigt. «Das kannst du doch nicht machen!»
    «So? Und warum nicht?»
    «Weil er dann sofort weiß, woher du das hast.»
    «Na und? Was glaubst du denn, warum er euch das alles erzählt hat? Doch nur, damit ihr’s euren Eltern wiedererzählt!»
    «Das stimmt nicht! So ist er nicht. Er ist aufrichtig.»
    «Aufrichtig? Er hat keine Lust, seinen Job loszuwerden – das ist alles.»
    Stu knallte das angebissene Brötchen auf den Tisch, stieß den Stuhl zurück und stand auf. Er war weiß vor Wut. «Ach, mach doch von mir aus alles kaputt … Für dich ist die Gemeindearbeit doch nur ein Hobby, mit dem du angeben kannst! Aber wenn sich einer für die Sache einsetzt, weil sie sein Lebensinhalt ist – den willst du dann fertig machen …»
    «Iss doch weiter, Stu!», bat die Mutter.
    «Setz dich!», fuhr ihn der Vater an. «Du weißt ja nicht, was du redest.»
    Stu wandte sich zur Tür.
    «Wo gehst du denn hin, Stu?», rief ihm die Mutter nach.
    «Fort!»
    Einen Augenblick später fiel die Haustür krachend zu.
    «Warum musst du immer mit ihm streiten?», jammerte Mrs. Gorfinkle.
    «Weil er ein Idiot ist.» Auch Gorfinkle stand auf.
    «Wohin … Was hast du vor?»
    «Telefonieren.»
    Aber als er die Hand nach dem Hörer ausstreckte, klingelte das Telefon.
    Es war Ted Brennerman. «Ben? Du, pass mal auf … Das Gerücht geht um, dass Paff und seine Clique anfangen, Leute zu mobilisieren.»
    «Um gegen meine personellen Entscheidungen zu stimmen? Klar tun sie das. Was hast denn du erwartet?»
    «Nein, Ben – sie wollen uns nicht überstimmen. Sie spielen nicht mehr mit. Sie wollen eine neue Gemeinde gründen.»
    «Hm, hm … Von wem hast du das gehört?»
    «Von Malcolm Marks. Paff hat ihn angerufen.»
    «Und ich bin dahinter gekommen, dass der Rabbi den jungen Leuten so allerhand erzählt, damit sie ihre Eltern unter Druck setzen … Allmählich wird mir so Verschiedenes klar … Hör zu: Wir müssen uns unbedingt treffen – noch heute Abend. Hast du eine Liste der Vorstandsmitglieder? Du weißt doch, auf wen wir uns hundertprozentig verlassen können – ruf sie an! Nimm die von A bis M; den Rest übernehme ich … Wir treffen uns bei mir, so gegen zehn.»
18
    Moose Carter holte ein paar karierte Socken aus der Kommodenschublade. Obgleich es Montag war und schon auf Mittag ging, war er noch nicht angezogen. Er hockte sich auf den Bettrand, streifte achtlos die Socken über und konzentrierte sich auf das vordringlichste Problem – Geld. Im Nebenzimmer, das wusste er, lag seine Schwester Sharon auf dem Bett und las. Sie las immer.
    «He, Sharon!», rief er durch die Wand. «Hast du ein paar Dollar für mich?»
    «Nein.»
    Er hatte es nicht anders erwartet; immerhin, einen Versuch war es wert … Er lehnte sich an die Wand und sagte eindringlich: «Weißt du, ich hab da ’n Job in Aussicht. Aber er ist in Boston, und ich muss …»
    Er hörte ihr Bett quietschen, dann schlug eine Tür zu. Weg war sie.
    «Luder!», knurrte er.
    Er hob die Matratze hoch und zog die grauen Flanellhosen hervor, die er über Nacht darunter gelegt hatte. Während er sie anzog, wog er die Chancen ab, die sich

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