Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Siebenjährige mit Schnupfen oder einem aufgeschlagenen Knie. Das schwerste Buschfeuer in einem Zeitraum von zehn Jahren hat mir die Röteln vermasselt, meine Mumps wurde komplett von der Weltgeschichte in den Schatten gestellt. Es war der 6. Juni 1944, und die Alliierten landeten in der Normandie.
Heute überlassen wir das Interesse an der eigenen Person ungern dem Zufall. Ganz im Gegenteil! Wir sind ständig auf uns selbst ausgerichtet. Fühlen wir uns nicht down, sind wir gut drauf und fähig, jedem, der es verdient, die Zähne zu zeigen? Wie steht es mit der Verdauung und wie mit der Konzentration im Straßenverkehr? Was ist von einem Husten zu halten, der die Hauskatze ängstigt, was von schlagartig auftretenden depressiven Stimmungen, wenn dem Sternekoch der Brokkoli missglückt und einem selbst der Käsekuchen? Wie schön, dass niemand mehr, so wie in der Vorzeit des Fortschritts, in Sachen Gesundheit auf Erfahrungen und Mutmaßungen angewiesen ist. Wir wissen alle, wo es langgeht, seitdem jede Tageszeitung und das Fernsehen allemal das Biowetter des Tages liefern. Wem das zu wenig ist, der kann sich bei den zuständigen Meteorologen erkundigen, weshalb er Kopfschmerzen hat und warum der Magen wimmert. Selbstverständlich ist die Praxis von Dr. Google 24 Stunden am Tag geöffnet. Anmeldungen sind nicht nötig, Krankenscheine werden nicht verlangt.
Um zu wissen, wie wir uns beim Aufwachen, am Spätnachmittag oder morgen fühlen werden, ist keiner von uns auf das Knie der Großtante angewiesen, das durch Schmerzen Rheuma voraussagt, oder auf Gras fressende Hunde und tief fliegende Schwalben. Die Biowetterfrösche (zwei Beine und Vollstudium) kündigen rechtzeitig Migräne, Gelenkschmerzen und allgemeine Mattigkeit an, zum Glück auch erholsame Tiefschlafphasen, eventuell gesteigertes Leistungsvermögen und atypisch gute Laune in der Morgenstunde. Leider sind die Voraussagen nicht langfristig. Sonst könnte ich heute schon entscheiden, ob ich zu meinem Geburtstag im September Michelle Obama einladen soll. Oder doch besser Arzt und Apothekerin.
Ansichtskarten sind heute eine Sache von gestern
Wetter prima, Essen gut, schade, dass Ihr nicht hier seid. Dieser berückend verständliche Text hat einmal den ersten Preis gewonnen. Gesucht wurde der originellste Postkartengruß. Das war in den späten fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Menschen rasten damals im Höllentempo auf die Zukunft zu. Sie aßen Hawaii-Toast, trugen Hawaii-Hemden und fuhren nicht mehr in die Sommerfrische zu Onkel Gustav und seinen zwei Kühen. Sie machten Urlaub, und das vorzugsweise im Süden. In der Fremde begab sich das deutsche Ferienvolk umgehend auf die Suche nach deutschem Kaffee und deutscher Bratwurst und sang abends Die Wacht am Rhein. Ein Urlauber hatte nur zwei Pflichten: so braun zu brennen, dass die Kollegen beim Wiedersehen quittegelb vor Neid wurden. Zum zweiten war in den Ferien das Schreiben von Ansichtspostkarten zwingendes Gebot.
Die Karten sahen sich alle zum Verwechseln ähnlich. Blauer Himmel, blaues Meer und dazwischen prächtige Strände, die nicht ahnen ließen, dass dort wahlweise Deutsche und Engländer gegrillt wurden und dass sich die einheimischen Hunde hinter vorgehaltener Pfote erzählten, die Ausländer wären alle plemplem. Die Empfänger der knallbunten Ansichtskarten konnten meistens erst durch den Poststempel ermitteln, ob die Absender in Rimini planschten oder am Wörther See.
Lang ist’s her. Selbst wenn er lesen und schreiben kann, verschickt der Ferienmensch kaum noch Karten. Dem Nachbarn, der seit Jahren die Blumen ertränkt und den Kater so fett füttert, dass ihn alle Welt Garfield nennt, wird heute per Mail für seine Hilfsbereitschaft gedankt. Unter Palmen simst der Badehosenmensch nach Hause, dass er glücklicher nicht sein könnte. Und wenn Mami nicht hat verhindern können, dass Papi den Rotwein aus dem Eimer und mit dem Strohhalm soff, lässt der Unglücksrabe seinen Chef wissen, dass er ein Patentekel sei, den sein gehorsamer Diener zum Teufel wünscht.
Solche Art der Kontaktaufnahme geziemt Leuten, die sonntags durch virtuelle Welten wandern und ihren Laptop kosen. Mein Herz schlägt immer noch für die Ansichtskarten der herkömmlichen Art. Die wurden ans Schwarze Brett gesteckt oder auf der Anrichte aufgestellt, und am Ende der Saison konnte jeder sehen, wie viele weit gereiste Freunde man doch hatte. Ich besitze noch heute eine Karte, die Kolumbus auf dem Weg nach
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