Am Strand des Todes
Missy war hellwach.
»Wo ist Papi?« fragte sie ängstlich.
»Er wird gleich zu dir reinkommen«, flüsterte Elaine. »Er
mußte noch mal zum Strand raus.«
Das kleine Mädchen schien zu Tode erschrocken. »Das hätte
er nicht tun sollen«, flüsterte sie, »der Strand ist ein böser Ort.«
Der Ton ihrer Stimme jagte Elaine einen Schauer über den
Rücken, aber sie ließ sich nichts anmerken. Sie drückte
sorgsam die Decke über dem kleinen Körper zurecht und küßte
Missy leicht auf die Stirn. »Schlaf jetzt wieder, sonst wird dein
Papi noch böse mit dir, und das willst du doch nicht – oder?«
Missy verkroch sich noch tiefer unter die Decke und schloß
gehorsam die Augen.
Hat sie es wirklich beobachtet? fragte Elaine sich selbst.
Großer Gott, hoffentlich nicht!
Sie überprüfte noch einmal sorgfältig das Fenster. Ja, es war
fest verschlossen. Dann zog sie leise die Schlafzimmertür
hinter sich zu und ging hinüber in die Küche, um sich von Glen
genauer berichten zu lassen, was geschehen war.
Merle Glind goß Chip Connor gerade das dritte Bier ein, als
das Telefon unter dem Tresen klingelte.
»Nie hat man seine Ruhe«, meckerte der kleine Mann und
stellte die halbleere Flasche neben Chips Glas. »Immer ist
irgendwas los!«
Chip konnte ein leichtes Grinsen über die gespielte
Geschäftigkeit des Alten nicht unterdrücken. Es verschwand,
als dieser den Hörer hochhielt und erklärte: »Ist für Sie! Weiß
aber nicht, wer dran ist.«
»Hallo?« fragte Chip, nachdem er widerwillig seinen
Barhocker verlassen hatte.
»Chip? Hier ist Brad Randall. Sind Sie noch nüchtern?«
»Sitz’ vor meinem dritten Bier«, grinste der Hilfssheriff.
»Was gibt’s denn so Dringendes?«
»Jeff Horton. Glen und ich fanden ihn vor einer halben
Stunde am Strand. Er ist tot.«
»Verdammt!« stieß Chip hervor. »Haben Sie schon Harn
informiert?«
Am anderen Ende der Leitung war es einen Augenblick still.
»Ich wollte es Ihnen sagen«, kam es dann zögernd.
»Auch gut«, meinte Chip, »wo ist er?«
»Noch am Strand. Wir wollten keine Spuren verwischen.«
»Gut. Ich komme sofort.« Dann überlegte er einen
Augenblick. »Wo sind Sie denn, Brad?«
»Bei Pruitts Tankstelle. Wollen Sie, daß ich hier auf Sie
warte?«
»Nicht nötig, wir treffen uns dann bei Ihnen. Ich muß zuerst
Harn anrufen und ihm sagen, was geschehen ist.«
»Ich weiß«, meinte Brad, »hätte ich Sie nicht erreicht, hätte
ich das schon getan.«
»Also gut«, wollte Chip das Gespräch beenden, »fahren Sie
jetzt zurück nach Hause. Ich komme, so schnell es geht.« Dann
fiel ihm noch etwas ein. »Ist Glen in Ordnung?«
»Er steht noch etwas unter Schock, aber das wird sich gelegt
haben, bis Sie auftauchen.«
»Wird er fähig sein, ein paar Fragen zu beantworten?«
Jetzt trat eine längere Pause ein, und als Brad endlich
antwortete, klang seine Stimme sehr reserviert. »Hängt davon
ab, was Sie ihn fragen wollen. Deshalb hab’ ich auch Sie und
nicht Whalen angerufen, Chip.«
Chip fragte sich, ob er es riskieren konnte, auf eigene Faust
zu handeln und Harn erst am Morgen zu informieren. Nein,
sein Chef würde ihm das Fell über die Ohren ziehen …
»Ich muß ihn anrufen, Brad, er ist der Boß!«
»Ich weiß«, meinte Brad etwas enttäuscht, »also, dann bis
später.«
Chip war keineswegs erstaunt, daß Merle Glind mit großen,
neugierigen Augen hinter ihm stand, als er den Hörer auflegte.
»Was ist los?« fragte er gespannt. »Was ist geschehen?«
»Jeff Horton. Liegt draußen an der Sod Beach. Tot.«
»Mein Gott!« stieß Glind hervor. Dann meinte er fast
vorwurfsvoll: »Ich hab’ ja gesagt, er sollte nicht länger
hierbleiben, ich hab’ so was geahnt.«
Aber Chip hörte ihm nicht mehr zu. Er wählte Harney
Whalens Nummer. Erst nach dem zehnten Klingeln, als er
schon aufgeben wollte, wurde am anderen Ende abgenommen.
»Hab’ ich dich aus dem Bett geklingelt?« fragte Chip.
»Nein«, erwiderte Whalen mit etwas unsicherer Stimme.
»Ich hab’ vor dem Fernseher gesessen und war wohl ein
bißchen eingenickt.«
»Es wäre gut, wenn du so schnell wie möglich zur Sod
Beach rauskommen würdest. Da draußen liegt Jeff Horton.
Tot.«
Einen Augenblick lang kam keine Reaktion, und Chip dachte
schon, sein Chef habe ihn nicht richtig verstanden. Er wollte
seine Meldung gerade wiederholen, als Whalens Stimme
wieder laut wurde.
»Ich habe diesen Hundesohn gewarnt«, sagte er wütend,
»niemand kann sagen, ich hätte ihn nicht gewarnt! Du nimmst
die Sache in die Hand –
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