Am Strand des Todes
Randall – dieses Mandat ist nicht an den Haaren
herbeigezogen. Ihr Wagen ist regelwidrig geparkt, und deshalb
habe ich es ausgeschrieben. Wenn ich Sie von Clark’s Harbor
wirklich fernhalten wollte, hätte ich andere Möglichkeiten,
glauben Sie mir. Ich habe Ihnen zu erklären versucht, welche
Spielregeln hier gelten. Ob Sie trotzdem hier draußen leben
wollen oder nicht, ist allein Ihre Sache. Aber falls Sie sich mit
mir anlegen wollen – das können Sie haben. Habe ich mich
klar genug ausgedrückt?«
Brad kam sich plötzlich wie ein Narr vor. Vielleicht hatte er
sich getäuscht, vielleicht war Whalen wirklich nur ein
überkorrekter Beamter? Aber die Strafe war in jedem Fall zu
hoch. Trotzdem entschloß er sich, die Sache zumindest für den
Augenblick auf sich beruhen zu lassen.
»Völlig klar«, erwiderte er, »und falls ich wirklich etwas
falsch gemacht haben sollte, möchte ich mich dafür
entschuldigen.«
Whalen nickte kurz, stieg in den Streifenwagen und fuhr
davon.
Brad sah ihm noch einen Augenblick nach und ging dann
zurück in die Galerie.
»Was war denn nur los?« fragte Elaine, »hat er uns einen
Strafzettel verpaßt?«
»Ja, und ich habe ihn bezahlt«, antwortete Brad
gedankenverloren.
»Ja, aber wofür denn?« wunderte sich Rebecca.
»Offensichtlich habe ich regelwidrig geparkt. Das rechte
hintere Ende des Wagens ragte knapp fünf Zentimeter auf den
Bürgersteig.«
»Und dafür hat er Sie aufgeschrieben?« empörte sich Glen.
»Das ist doch lächerlich!«
»Das dachte ich auch, aber ich wollte keinen weiteren Ärger
haben. Hat keinen Sinn, wenn er am längeren Hebel sitzt.«
»Manchmal kommt’s mir so vor, als ob ganz bestimmte
Leute grundsätzlich am längeren Hebel sitzen«, meinte Glen
bitter. Rebecca griff tröstend nach seiner Hand.
»Ich glaube, wir müssen langsam los«, meinte Elaine mit
einem Blick auf ihre Uhr. »Wir brauchen mindestens drei
Stunden nach Hause.«
Rebecca schlang plötzlich die Arme um Elaine und drückte
sie an sich. »Überlegen Sie es sich bitte nicht anders«, flüsterte
sie.
»Auf keinen Fall«, beruhigte sie Elaine. »Diese Stadt soll
mich kennenlernen.« Sie machte sich los. »Lassen Sie uns eine
gute Woche Zeit, dann sind wir zurück
– in Ordnung?«
Rebecca nickte. »Ich weiß ja, daß es kindisch klingt, aber ganz
plötzlich habe ich das Gefühl, daß jetzt alles gut wird. Beeilen
Sie sich!«
»Das werden wir«, sagte Brad, »und ich hoffe, daß bei
unserem Wiederkommen hier alles fertig ist, sonst werde ich
mich selbst darum kümmern!«
»Ich nehme Sie beim Wort«, lachte Glen. Zusammen mit
Rebecca geleitete er die Randalls zum Wagen.
»Ich sehe sie sehr ungern fahren«, meinte Rebecca, während
sie dem kleiner werdenden Wagen nachblickten. »Was soll nur
werden, wenn sie es sich doch anders überlegen und nicht
zurückkommen?«
»Sie kommen zurück«, beruhigte Glen seine Frau. »Aber
komm jetzt rein und vergiß sie für den Augenblick. Wir haben
viel zu tun; vor allem müssen wir uns um unseren neuen
Hausgenossen kümmern…«
»Worüber machst du dir Sorgen?« fragte Brad, während sie
noch einmal durch den Ort fuhren.
»Über nichts Besonderes«, wich Elaine aus. Sie war sich
nicht sicher, ob sie mit ihrem Mann darüber sprechen wollte.
»Du kannst mir nichts vormachen«, beharrte Brad.
»Offensichtlich nicht«, lächelte sie. »Vielleicht haben wir
uns doch zu rasch in diese Sache hineingestürzt. Ich meine, ein
Haus am Strand zu mieten, das ist eine Sache – aber ein Leben
ohne Strom und in einer Stadt, die uns nicht will, das ist etwas
ganz anderes.«
»Aber es ist doch nicht die ganze Stadt«, widersprach Brad,
»es sind lediglich Harney Whalen und dieser Merle Glind.
Glen und Rebecca dagegen wollen uns sehr wohl.«
Elaine versank in Schweigen. Es würde eine Weile dauern,
bis sie all die Empfindungen und Gedanken verarbeitet hatte,
die sie bestürmten.
Doch so weit sie sich auch von Clark’s Harbor entfernten,
ein Gedanke drängte sich immer wieder drohend in ihr
Bewußtsein: Wir sind Fremde, Fremde wie die Palmers – und
die Shellings…
Harney Whalen wartete, bis der Wagen der Randalls außer
Sicht war; erst dann fuhr er aus dem Schutz der riesigen
Anzeigetafel heraus zurück in die Stadt.
Als er in die Harbor Road abbog, warf er einen finsteren
Blick auf die Galerie. Warum nur hatten sie sein Angebot nicht
angenommen? Er hätte sie ausbezahlt – und Clark’s Harbor
wäre sie losgewesen.
Er warf einen Blick über das vor ihm liegende
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