Am Strand des Todes
Whalen. »Ja, Jungs aus Port
Angeles. Merle sagt, sie wollten nach Grays Harbor, aber der
Sturm hat sie bei uns an Land gezwungen.«
Whalen schien nicht weiter interessiert. »Hatten sie
Probleme?«
»Probleme? Nein, nicht daß ich wüßte. Ich dachte nur, du
würdest es gerne wissen.«
»Ja, ist gut«, sagte Whalen, »danke für den Anruf.« Er wollte
schon wieder auflegen, als ihm noch ein Gedanke kam. »Chip!
War sonst heute noch was?«
»Nein, nichts«, erwiderte Chip, »still wie auf dem Friedhof.«
»Und wie hast du meine Lektion für Palmer gefunden?«
Längere Zeit blieb es still, und Whalen dachte schon, Chip
hätte ihn nicht verstanden. Doch dann räusperte sich sein
Stellvertreter.
»Ich tu’ so, als ob ich es für einen unglücklichen Zufall
halten würde, Harn«, kam es zögernd.
»Das war’s aber nicht«, knurrte Whalen.
»Nein, vermutlich nicht.« Wieder diese betretene Stille, als
ob jeder dem anderen den Vortritt lassen wollte. Schließlich
rührte sich Chip zuerst. »Ich erklärte Palmer, es wäre ein
Versehen, Chief.«
»Mir wäre es lieber, du hättest das nicht getan«, meinte
Whalen fast empört, »ich wollte, daß er anfängt, sich Gedanken
zu machen!«
Chip zog es vor, das Thema fallenzulassen. »Also, dann bis
morgen«, verabschiedete er sich.
»Ja, gut«, sagte Whalen kurz, »bis morgen.« Er legte den
Hörer zurück auf die Gabel, griff nach seinem Glas und trat ans
Fenster. Geistesabwesend starrte er in das Unwetter hinaus.
Das war ein Tag gewesen, den man am besten sofort wieder
vergaß. Allerdings hätte er sich an ein, zwei Dinge, die heute
geschehen waren, zumindest im Augenblick gern
zurückerinnert. Aber es gelang ihm einfach nicht. Amüsiert
lachte er in sich hinein – Dinge, an die man sich nicht erinnern
konnte, waren es höchstwahrscheinlich auch nicht wert…
Jeff Horton warf einen Blick auf seine Uhr und trat dann ans
Fenster des Gasthofzimmers. Die vom Wind gepeitschten
Regenfluten verwehrten ihm den Blick auf den Kai, obwohl
dieser keine hundert Meter entfernt war. Er überprüfte noch
einmal die Zeit. Es war bereits eine Dreiviertelstunde
vergangen, seit er aufs Zimmer gekommen war, und Max
konnte kaum mehr als zehn Minuten brauchen, um ihr Boot zu
sichern.
Er zog die Windjacke über und ging hinunter. Doch auch in
der Bar saß der Bruder nicht. Dafür sah er Merle Glind, der
sich mit einem netten jungen Polizisten unterhielt.
Auch als er sich dem Kai näherte, hielt er
vergeblich
Ausschau nach ihrem Boot. Hastig schritt er die Reihe der
einheimischen Boote ab, bis er plötzlich vor einem leeren
Liegeplatz stand. Jeff starrte auf das schwarze Meer, auf dem
noch vor kurzem die ›Osprey‹ geschaukelt hatte. Hatten sie
etwa doch weiter draußen angelegt? Er kämpfte sich mit
gekrümmtem Oberkörper weiter bis ans Ende des Kais. Alle
Plätze waren belegt, aber keine ›Osprey‹! Vielleicht hatte er sie
doch übersehen? Als er sich gerade umwenden wollte, erhellte
wieder einer dieser mächtigen, blau-weißen Blitze den
Horizont. Und weit draußen im Hafen, fast an der Ausfahrt, sah
er die Silhouette eines Trawlers. Für Jeff gab es überhaupt
keinen Zweifel. Es war die ›Osprey‹ – und sie hatte Kurs auf
die Klippen. Auch als alles ringsum wieder in Dunkelheit
versunken war, stand er noch immer wie gebannt. Seine Augen
bohrten sich in die undurchdringliche Schwärze, und er flehte
um einen neuen Blitz, um sehen zu können, ob sie die Klippen
inzwischen passiert hatte…
Max Horton starrte wie gelähmt durch die Frontscheibe des
Ruderhauses. Im gleißenden Licht des aufzuckenden Blitzes,
der für einen Augenblick den Vorhang der Nacht aufriß, sah er
die bizarr drohenden Felsfinger. Er wußte, das war das Ende.
Nur wenige Meter vor dem Bug des Boots brachen sich die
Schaumkronen an den Klippen.
In einem letzten Aufbäumen vor dem drohenden Tod griff er
nach der Schwimmweste und hastete aufs Deck hinaus, um das
Beiboot zu Wasser zu lassen. Er riß die Persenning ab und löste
die Sicherungsleinen der Davits.
Doch es war zu spät.
Als das winzige Boot die tosenden Wasser berührte, begann
es sich sofort wie rasend zu drehen und vollzuschlagen. Gleich
darauf schaute gerade noch die Reling aus dem Wasser. Und
dann geriet auch die ›Osprey‹ in den Mahlstrom,
und ihr Heck schwenkte nach vorn. Mit der Breitseite schlug
sie gegen die Felsen und erzitterte bis zum Kiel, als die
Planken mittschiffs splitterten. Rasch sackte sie ab, während
die
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