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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Haus verschönern und noch mehr Geld scheffeln wollte. Und der hohe Tenor, einschmeichelnd und herrisch zugleich, sein blasierter Akzent. Sie haßte es, sich begeisterte Berichte über die Yacht mit dem lächerlichen Namen Sugar Plum anhören zu müssen, die in Poole vor Anker lag. Und es zerrte an ihren Nerven, wenn er von einem neuartigen Segel erzählte, einem Seefunkgerät, einem speziellen Bootslack.
    Früher war er oft mit ihr hinausgefahren, manchmal, sie war zwölf, dreizehn Jahre, sogar bis nach Carteret bei Cherbourg. Doch darüber verlor niemand je mehr ein Wort. Zu ihrer Erleichterung hatte er sie später auch nie mehr gebeten, mit ihm zu kommen. Manchmal aber, in einem Anfall von Beschützerinstinkt und reuiger Liebe, trat sie hinter seinen Sessel, barg seinen Kopf in ihren Armen, küßte ihn auf seine Glatze und genoß seinen sauberen Geruch. Später würde sie sich dafür hassen.
    Auch ihre jüngere Schwester entnervte sie mit ihrem frisch zugelegten Cockney-Akzent und der einstudierten Blödheit am Klavier. Wie sollten sie für ihren Vater vierhändig einen Sousa-Marsch spielen, wenn Ruth tat, als könnte sie keine vier Schläge in einem Takt zählen?
    Florence war es stets leichtgefallen, ihre Gefühle vor der Familie zu verbergen. Sie zog sich in solchen Situationen einfach möglichst unauffällig aus dem Zimmer zurück, stolz, den Eltern oder ihrer Schwester nichts Böses oder Verletzendes gesagt zu haben, da sie sonst die ganze Nacht mit schlechtem Gewissen wach gelegen hätte. Immer wieder rief sie sich in Erinnerung, wie sehr sie ihre Familie liebte, und verbarrikadierte sich nur um so auswegloser in ihrem Schweigen. Daß man sich streiten konnte, sogar heftig, und sich dann wieder vertrug, das wußte sie. Bloß war ihr nicht ganz klar, wie man es anstellte; sie begriff nicht, wie man einen die Atmosphäre reinigenden Krach vom Zaun brach, und sie konnte auch nie recht glauben, daß sich harte Worte zurücknehmen oder vergessen ließen. Am besten achtete man darauf, nichts zu verkomplizieren. Dann mußte sie auch nur sich selbst Vorwürfe machen, wenn sie sich vorkam wie eine jener Comicfiguren, denen der Dampf aus den Ohren zischte.
    Außerdem hatte sie andere Sorgen: Sollte sie sich für einen Platz in den hinteren Reihen eines Provinzorchesters bewerben - sie würde sich glücklich schätzen können, wenn das Bournemouth-Symphonieorchester sie nahm -, oder sollte sie ein weiteres Jahr von ihren Eltern abhängig bleiben, von ihrem Vater also, und mit dem Streichquartett für den ersten Auftritt proben? Sie müßte dann in London wohnen, wollte Geoffrey aber nicht um noch mehr Geld bitten. Charles Rodway, der Cellist, hatte ihr ein Zimmer im Haus seiner Eltern angeboten, aber er war ein eigenbrötlerischer, anstrengender Kerl, der ihr stiere, bedeutungsvolle Blicke über den Notenständer hinweg zuwarf. Würde sie bei ihm wohnen, wäre sie ihm ausgeliefert. Sie könnte auch jederzeit eine volle Stelle bei einem Trio in einem heruntergekommenen Grandhotel im Süden Londons annehmen, das Unterhaltungsmusik wie das Palm Court Light Orchestra spielte. Und wegen der Salonmusik, die sie dann spielen mußte, brauchte sie keine Skrupel zu haben - es würde sowieso niemand zuhören -, aber irgendein Instinkt oder auch blanker Snobismus sagte ihr, sie könne unmöglich im heruntergekommenen Croydon oder auch nur in der Nähe dieses Stadtteils wohnen. Also tröstete sie sich damit, daß ihr die Examensergebnisse bei ihrer Entscheidung helfen würden, und verbrachte jene Tage - genau wie Edward die seinen in den waldigen, gut zwanzig Kilometer weiter östlich gelegenen Hügeln - damit, in einer Art Vorzimmer des Daseins zu verharren und ungeduldig darauf zu warten, daß das Leben endlich anfing.
    Heimgekehrt vom College und kein Schulmädchen mehr, zudem auf eine Weise erwachsen, die niemand im Haus wahrzunehmen schien, dämmerte es Florence, daß ihre Eltern ziemlich fragwürdige politische Einstellungen hatten, und wenigstens dazu erlaubte sie sich am Essenstisch offenen Widerspruch in Gesprächen, die sich bis in die Sommerabende hinzogen. Doch auch wenn sie sich dadurch etwas Luft verschaffte, steigerten diese Diskussionen zugleich ihre Gereiztheit. So interessierte sich Violet zwar ernsthaft für die Mitgliedschaft ihrer Tochter in einer Anti-Atom-Gruppe, doch fand Florence es trotzdem ziemlich anstrengend, eine Philosophin als Mutter zu haben. Ihre scheinbare Gelassenheit provozierte sie, vor allem

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