Am Tor Zur Hoelle
treffen, begegnete ich vielen, die wütend waren, deprimiert, isoliert, einsam und suchend. Wenn sich die Möglichkeit ergab, fragte ich diese Menschen binnen kurzer Zeit: »Wie alt bist du?«, »Wann wurdest du geboren?«, »Sind deine Eltern noch am Leben?«, »Was haben sie während des Zweiten Weltkrieges erlebt?«. Oder: »Sind deine GroÃeltern noch am Leben, und falls ja, wo hielten sie sich während des Zweiten Weltkrieges auf, was haben sie erlebt?«
Häufig vertrauten mir diese Menschen an, dass sie nicht wussten, was ihre Eltern (oder GroÃeltern) erlebt hatten. Sie vertrauten mir an, dass es keinerlei Gespräche über diese Dinge gegeben hatte. Es war, als ob die Eltern oder GroÃeltern einen alten, unerwünschten Pullover ausgezogen hätten, ihn in einen Kasten gelegt, den Kasten in einen Schrank gestellt und den Kasten nie wieder geöffnet hätten.
Ich hörte Geschichten von Vätern, die im Alkohol und in Gewalt versunken waren, die emotional leer waren. Ich hörte Geschichten von Müttern, die sich an ihre Kinder klammerten, die ihre Kinder fast erstickten in ihrem Bemühen, sie in Sicherheit zu wiegen. In diesen Geschichten hörte ich die Geschichte meines eigenen Vaters, der Väter meiner Freunde und auch meine eigene Geschichte.
Krieg und die Konditionierung zum Krieg haben einen andauernden und prägenden Einfluss auf Familien. Ganz besonders, wenn der Krieg und die Konditionierung zum Krieg verborgen bleiben. Ich traf viele Menschen in Deutschland, deren Väter während oder nach dem Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Eine unter ihnen hieà Gabriela. Ihr Vater war von der amerikanischen Armee an der Westfront gefangengenommen und damals als Kriegsgefangener in die USA transportiert worden. Er war, genau wie ich, 17 Jahre alt gewesen, als er in die Armee eintrat.
Gabriela vertraute mir an, dass sie eine sehr schwierige Beziehung zu ihrem Vater hatte. Sie hasste ihn, sah ihn als den Nazi-Feind und war nicht willens, mit ihm über seine Erlebnisse zu sprechen. Sie hatte kein Interesse. Ihre Einstellung erinnerte mich an die Zeit, als ich aus Vietnam nach Hause zurückkehrte und hörte, wie Leute Vietnamveteranen als »Baby-Mörder« beschimpften. Während ich Gabriela zuhörte, konnte ich diese wütenden Schreie in meinem Kopf hören. In dem Augenblick steckte ich in der Haut ihres Vaters.
Als ich mit ihr sprach, ermutigte ich sie, ihren Vater Joachim zu fragen, ob er sich vorstellen könne, in die USA zu kommen, um die Orte seiner Kriegsgefangenschaft zu besuchen. Ihre spontane Antwort war, dass sie überzeugt davon sei, dass er nein sagen würde. Ich drängte sie, ihn trotzdem danach zu fragen. Sie tat es, und zu ihrer eigenen Ãberraschung erwiderte ihr Vater, dass dies einer seiner innigsten Wünsche sei.
So begannen wir, diese Reise zu planen, die Reise, die die beiden in die USA bringen sollte, wo ich mich mit ihnen treffen wollte. Joachim, sie und ich wollten diese Orte wieder aufsuchen. Während wir uns auf diesen Trip vorbereiteten, zeigte mir Joachim die Ãberbleibsel seiner Militärzeit: Fotos, Dokumente und einiges mehr. Diese Dinge hätten die meinen sein können.
Joachim und Gabriela kamen in den USA an, und wir begannen unsere Reise. Joachim und ich saÃen nachts beisammen und sprachen vom Krieg und wie wir davon geprägt waren. Joachim und ich hatten die Gespräche, die ich nicht mit meinem eigenen Vater geführt hatte und die ich mir so sehr gewünscht hätte. Mein Vater war Jahre zuvor gestorben. Ich glaube, als er starb hing er noch immer der Idee an, dass, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist, man nie wieder ehrlich über den Krieg sprechen sollte. Es werden nur die Heldengeschichten erzählt, und man macht sich daran, alles wieder aufzubauen und mit seinem Leben fortzufahren. Eine alte und schreckliche Lüge. Joachim hingegen, der Feind meines Vaters, bot mir das Herz eines Vaters an.
Da ich in einer gewalttätigen Kultur aufgewachsen bin, ist mir deren Lehre sehr vertraut. Es ist eine Lehre, die jeweils nur den begrenzten Blick für eine Seite der Wahrheit zulässt. Und weil mir die Gabe einer weiterreichenden Sicht gegeben wurde, halte ich es für nötig und bin ich in meinem Bemühen umso mehr entschlossen, ein Bewusstsein für die Aussichtslosigkeit dieser Lehre zu schaffen. Ich bin genötigt und in
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