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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Fleisch, das wahrscheinlich für uns alle bestimmt war. Er hat das Fleisch zurückgehalten, der Dreckskerl! Kein Wunder, dass ihm dein Bryan eine gelangt hat. Mein Alter hätte das Gleiche getan, wenn er dabei gewesen wäre.« Sie seufzte kaum hörbar. »Sorry, dass ich dir nichts anderes sagen kann. Mir tut’s selber leid, weil ich jetzt kein Schwarzbrot mehr von dir bekomme. Aber so ist es nun mal, so und nicht anders.«
    Molly ließ die bittere Erkenntnis, dass Bryan verschwunden war, nur zögernd an sich heran. »Woher weißt du das alles? Hat er noch was gesagt?«
    »Bryan? Keine Ahnung. Ein Freund von meinem Alten hat die Sache heimlich beobachtet und sich rasch aus dem Staub gemacht, als der Master wild wurde. Keine Ahnung, ob dein Bryan noch was gesagt hat. Was soll’s?«
    »Was es soll?« Molly lief vor Wut schnaubend davon.
    Noch während der Mittagspause berichtete sie ihrer Schwester und ihrer Mutter von Bryans Rauswurf. Sie musste ihre Worte mehrmals wiederholen, bis sie ihr glaubten, und selbst dann schüttelte ihre Mutter noch ungläubig den Kopf und klagte: »Hat denn der Herrgott gar kein Erbarmen mit uns?«
    Fanny reckte eine Faust in die Richtung, in der sie den Master vermutete. »Dieser verdammte Dreckskerl!«, schimpfte sie. »Ich wusste immer, dass er ein mieser Verbrecher ist und die Leute betrügt, sogar seine eigenen Mitarbeiter, aber dass er von dem bisschen, das wir haben, den größten Teil für sich abzweigt?« Ihre Augen blitzten. »Das wird er mir büßen, dieser gemeine Dieb!«
    »Du wirst gar nichts tun«, warnte ihre Mutter. »Oder willst du auch auf der Straße landen? Glaube ja nicht, dass dir deine hübschen Augen was nützen, wenn du dich gegen ihn wendest. Wir schaffen es auch allein, Fanny. Selbst wenn sie mich in die Waschküche zurückschicken ... wir schaffen es allein.«
    »Und wenn wir auch gehen? Bryan wartet vielleicht irgendwo auf uns ...«
    Darüber hatte Molly auch schon nachgedacht. Sie schüttelte den Kopf. »Zu viert hätten wir keine Chance. Jetzt nicht mehr. Allein kommt Bryan zurecht. Er lässt sich nicht unterkriegen. Er kennt alle möglichen Tricks, um da draußen am Leben zu bleiben. Zu viert würden wir es niemals schaffen. Nicht, solange es noch so kalt ist und wir keine Beeren und Kräuter finden würden.«
    Vor allem nicht mit einer Frau wie ihrer Mutter, hätte sie hinzufügen können, einer schwachen und anfälligen Frau, die beim leisesten Anflug einer Krankheit zusammenbrechen und wahrscheinlich nie mehr aufstehen würde.
    »Hier bekommen wir wenigstens ein bisschen was zu essen und wir haben ein einigermaßen warmes Nachtlager und ein Dach über dem Kopf.« Sie sah ihre Schwester an, gab ihr durch einen Blick zu verstehen, dass sie allein wegen ihrer Mutter blieb. Ohne sie wäre sie schon jetzt zu Bryan unterwegs.
    »Du hast recht«, sagte Fanny, »hier sind wir einigermaßen sicher.«
    »Bryan lässt uns nicht im Stich.« Molly versuchte, einen zuversichtlichen Eindruck zu machen, obwohl auch an ihr Zweifel nagten. »Ihr werdet sehen, sobald die Sonne scheint, wartet er vor dem Tor auf uns. Und dann fahren wir nach Amerika.« Sie umarmte beide. »Habt ihr gehört? Wir fahren nach Amerika! Alle vier! Wir fahren nach Amerika und beginnen ein neues Leben!«
    »Amerika«, flüsterten sie hoffnungsvoll.

13
    Wie sie die restlichen Tage des Winters überstanden, vermochten sie später nicht mehr zu sagen. Andere Frauen und Mädchen, manche viel stärker und gesünder, erkrankten an der Cholera oder dem Schwarzen Fieber, wieder andere holten sich eine Lungenentzündung und brachen hustend und röchelnd zusammen, nur über sie schien der Herrgott seine schützende Hand zu halten.
    Weil er sie schon genug geprüft hatte, glaubte Rose Campbell. Sie hustete viel, lag an manchen Tagen mit hohem Fieber auf ihrem Strohlager und war einige Male dem Tode sehr nahe, raffte sich aber immer wieder auf und kämpfte sich ins Leben zurück. Molly und Fanny überließen ihr eine zusätzliche Decke und gaben ihr vom Essen ab, besonders von der warmen Suppe, die es im Februar wieder zweimal die Woche gab. Von Ellen, die ihre Ohren überall hatte, erfuhr Molly, dass die Regierung sich besonnen und in manchen Gegenden sogar Suppenküchen eingerichtet hatte. »Ein Tropfen auf den heißen Stein«, wie sie sich ausdrückte, denn die warmen Mahlzeiten reichten nur für einen Bruchteil der vielen Hungernden aus und machten die Lage nur noch schlimmer, weil sich verzweifelte

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