Am Ufer der Traeume
verbracht. Wir wollen nach Texas ... in den Westen! In ein paar Tagen soll es losgehen. Wir werden New York verlassen.«
Fanny schloss sie begeistert in die Arme. »Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist! Ich würde glatt eine Flasche aufmachen, wenn ich eine hätte ...«
23
»Ab sofort keine Treffen mehr«, sagte Bryan nach einer knappen Woche, »erst übermorgen um sieben Uhr früh an der Dampffähre.« Er breitete eine Karte der östlichen Vereinigten Staaten, die er sich am Bahnhof besorgt hatte, auf dem Boden aus. »In Jersey City nehmen wir den Zug nach Philadelphia und dort steigen wir nach Pittsburgh um.« Er fuhr die Strecke mit seinem rechten Zeigefinger nach. »Siehst du die blaue Linie? Das ist der Ohio River. Wir nehmen ein Dampfschiff, fahren bis zur Mündung in den Mississippi und weiter nach St. Louis. In Independence, das liegt hier, hab ich mir sagen lassen«, er schob seinen Finger weiter nach links, »nehmen wir die Postkutsche oder wir schließen uns einem Wagenzug über den Santa Fe Trail an, damit kommen wir am sichersten nach Westen. In Santa Fe lässt sich gutes Geld verdienen. Wir könnten eine Weile dort bleiben und weiterziehen, sobald wir genug beisammenhaben. Von Santa Fe ist es nicht weit nach Texas.« Er faltete die Karte zusammen und blickte sie stolz an. »Hab ich mir von einem Mann erklären lassen, der schon mal dort war.«
»Und was kostet das alles? Ich habe nur ein paar Dollar.«
»Mach dir um das Geld keine Sorgen. Das kriege ich bis übermorgen zusammen. Ich hab da eine tolle Gelegenheit. Wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle, haben wir übermorgen genug Geld, um bis ans Ende der Welt zu fahren. Drück mir die Daumen, dass es klappt! Für die Tickets hab ich das Geld schon, aber wir brauchen mehr, wenn wir es schaffen wollen.«
»Und was ist das für eine tolle Gelegenheit?« Sie blickte ihn zweifelnd an. »Ihr plant doch keinen Banküberfall? So verrückt bist du nicht, Bryan. Du weißt doch, was mit dir passieren würde, wenn sie dich erwischen. Sie würden dich für viele Jahre ins Gefängnis sperren und wir würden uns niemals wiedersehen.« Ihr Blick wurde flehentlich. »Versprich mir, dass du keine Dummheit machst! Wir kommen auch ohne Geld aus. Versprich es mir!«
»Ich mach nichts Dummes«, versprach er halbherzig. »Ich hab noch nie was Dummes gemacht, die ganzen letzten fünf Jahre nicht, sonst wäre ich doch längst im Gefängnis.« Er steckte die Karte ein und küsste sie. »Übermorgen um sieben Uhr früh. Sei pünktlich, Little Red! Texas wartet! In ein paar Monaten haben wir es geschafft. Dann sind wir wirklich frei.«
»Texas!«, wiederholte Molly. »Wenn wir nur schon da wären ...«
Die folgende Nacht und der nächste Tag schleppten sich dahin. Ihr Traum konnte immer noch platzen. Selbst wenn Bryan die Wahrheit gesagt hatte und keine Dummheit plante, war sein Vorhaben sicher mit einem großen Risiko verbunden, das ihre Abreise ernsthaft gefährden konnte. Wenn er etwas haben wollte, ging er direkt darauf los, so wie damals in der alten Heimat, als er Essen und Kleidung in Castlebar besorgt hatte und einige Monate später in Liverpool an die Tickets für die Überfahrt nach Amerika gekommen war. Einen Deutschen oder einen Italiener um sein Geld zu erleichtern war für ihn keine Dummheit und auch die Bank eines verhassten Engländers hätte er ohne Skrupel ausgeraubt, aber die Polizei machte nun mal keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten und nahm keine Rücksicht auf die berechtigte Wut eines Iren auf die Engländer, die ihn so lange unterdrückt hatten. Sie würden ihn einsperren, wenn sie ihn bei einer solchen Tat erwischten, und sie bliebe einsam und allein zurück.
»Ich hätte ihn aufhalten müssen«, sagte sie leise vor sich hin, als sie am nächsten Morgen am Fenster stand und über den Hudson River nach Westen blickte. Die Frühlingssonne spiegelte sich im trüben Wasser und hing in feinen Schleiern über den Häusern von Jersey City. »Was brauchen wir so viel Geld, um ans Ende der Welt fahren zu können? Mir reicht es schon, wenn wir aus New York rauskommen. Und wenn das Geld nur bis Santa Fe reicht, suchen wir uns eben Arbeit und sparen so lange, bis wir genug beisammenhaben. Wir haben über fünf Jahre in New York ausgehalten, da kommt es auf ein paar Monate mehr nicht an. Warum bringst du dich unnötig in Gefahr, Bryan? Du kannst nicht anders, stimmt’s? Du brauchst diesen Nervenkitzel, um was vom Leben zu haben. Das
Weitere Kostenlose Bücher