Am Ufer der Traeume
ließ. »Bryan«, flüsterte sie. »Wohnst du hier?«
»Komm mit«, antwortete er. Er griff nach ihrer Hand und führte sie über eine steile Treppe in einen verfallenen Keller. Es war stockdunkel und unter ihren Füßen knirschten Schutt und abgebrochene Steine. Es stank nach verkohltem Holz. »Pass auf, wohin du trittst! Hier hat es vor ein paar Wochen gebrannt. Im Haus wohnen wieder Leute, das haben sie einigermaßen repariert. Für den Keller hat es wohl nicht mehr gereicht.« Er half ihr über einen umgestürzten Balken und führte sie in einen Raum, in dem es nach verbrannten Bohnen roch. Sie blieben stehen und er zündete ein Schwefelholz an.
Nachdem er die Öllampe, die neben einer Matratze auf einer umgedrehten Kiste stand, entzündet und den Docht hochgedreht hatte, erkannte sie, dass sie sich in einem fensterlosen Kellerraum befanden. Außer der Matratze, auf der mehrere Decken lagen, und der Kiste, auf der sich neben der Öllampe auch ein zerfleddertes Buch befand, war da noch eine weitere Kiste, mit Vorräten, wie sie später erfuhr, die Bryan wegen der Ratten, die es im Keller gab, fest verschlossen hielt. Der Raum war erstaunlich sauber. »Hier schläfst du?«
»Eine teure Villa am Union Square kann ich mir nicht leisten.« Er streckte lächelnd die Arme nach ihr aus. »Du hast dich nicht verändert, Little Red. Du siehst genauso aus wie die schöne Frau in meinen Träumen. Komm zu mir!«
Sie ging langsam auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und legte den Kopf an seine Brust. Es störte sie nicht, dass sein Mantel nach Whiskey und Tabakrauch stank, und als sein mit Bartstoppeln übersätes Kinn ihre Stirn streifte, lächelte sie nur. Eng umschlungen sanken sie auf die Matratze, befreiten sich gegenseitig von ihren Mänteln und dann auch von allen anderen Kleidern, küssten sich, zuerst noch zärtlich und verhalten, dann immer leidenschaftlicher, bis sie wie in einem Rausch miteinander verschmolzen und etwas erlebten, das sie bisher nur aus ihren kühnsten Träumen gekannt hatten. Danach küsste sie ihn wieder zärtlich und erfreute sich an der Zufriedenheit und Dankbarkeit in seinen blauen Augen.
»Bryan! Ich ... ich liebe dich!«
Obwohl ihr klar war, dass sie etwas getan hatten, was weder ihr Pfarrer in Castlebar noch ihre Mutter gutgeheißen hätte, fühlte sie keine Schuld. Wer so liebte wie sie, konnte nichts Falsches tun. »Ich liebe dich auch«, hörte sie Bryan leise antworten und presste sich noch enger an ihn, als gäbe es weder ein Morgen noch ein Übermorgen für sie. Erst nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, kuschelten sie sich unter die vielen Wolldecken und sie fragte ihn: »Wo warst du nur die ganze Zeit, Bryan? Haben sie dich zurückgeschickt?«
»Vor fünf Jahren? Als unser Schiff angelegt hatte?« Er schüttelte den Kopf und grinste, als er sich daran erinnerte. »Das hätten sie wohl gerne. Mir ging es damals hundeelend. Alle dachten, ich hätte das Schwarze Fieber erwischt, einschließlich mir selbst. Noch auf hoher See dachte ich, das überlebst du nie, an einem der nächsten Tage schließt du die Augen, und sie wickeln dich in eine Decke und werfen dich ins Meer. Aber ich blieb am Leben, warum, weiß ich auch nicht, und als wir im Hafen lagen und die Inspektoren kamen, wurde mir klar, dass sie mich niemals an Land lassen würden. Ich raffte also meine letzten Kräfte zusammen, ging über einen der Niedergänge an Deck und stieg heimlich über die Reling. Zum Glück hing dort eine Strickleiter. Ich kletterte ins Wasser und schwamm ungesehen an Land. Dort blieb ich in einem Gebüsch liegen. Ein Wunder, dass ich dabei nicht draufging. Aber es war wohl doch was anderes als das Schwarze Fieber und ich blieb am Leben. Stundenlang lag ich in dem Gestrüpp, bis mich Lola entdeckte und von zwei starken Kerlen in ihre Wohnung schleppen ließ. Sie hatte ein Herz für Typen wie mich.«
»Lola?«, fragte Molly bedrückt. »Ich dachte, du hättest keine Freundin.«
Er drückte ihren Kopf fest an seine Brust und kicherte leise. »Lola war mindestens doppelt so alt wie ich und trieb es nur mit Männern ... wenn sie anständig dafür bezahlten. Aber sie hatte ein großes Herz. Sie steckte mich in ein heißes Bad und packte mich ins Bett, fütterte mich tagelang mit heißem Tee und fetter Hühnersuppe, bis ich wieder einigermaßen auf dem Damm war. Zum Abschied brachte sie mir neue Kleider, von einem jungen Mann, der für sie gearbeitet hatte und von
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