Am Ufer der Traeume
selbst gesehen, wie schwer es für Iren ist, Arbeit zu bekommen. Mir blieb doch gar nichts anderes übrig, als zu den Black Birds zu gehen. Oder hätte ich zurück nach Irland fahren sollen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen nach vorn schauen, Bryan.«
»Das tue ich, Molly, das kannst du mir glauben. Ich bin nur noch hier, weil ich gehofft habe ... weil ich nicht glauben wollte, dass ich dich niemals wiedersehen würde. Aber jetzt hält mich nichts mehr, jetzt können wir gemeinsam verschwinden. Das Paradies, das sie uns versprochen haben, liegt nicht hier. Wir müssen nach Westen. Hinter den Blauen Bergen, jenseits des großen Flusses, den sie Mississippi nennen, da liegt das Land, von dem wir geträumt haben. Vor einigen Wochen hab ich mir einen Artikel über Texas vorlesen lassen, da gibt es weder große Mietshäuser noch Gedränge auf den Straßen und Plätzen, da gibt es kaum Städte und Dörfer, nur freies Land, fruchtbaren Boden, der nur darauf wartet, von uns beackert zu werden. In Texas ist so viel Platz, dass sich alle Einwanderer, die während der letzten zehn Jahre nach Amerika gekommen sind, dort verlieren würden. Da draußen kannst du noch durchatmen. So stand es in der Zeitung und nicht etwa in einer Werbebroschüre für Einwanderer. Da stehen nur Lügen drin. Der Mann, der den Artikel für die Zeitung geschrieben hat, war schon mal dort. Er hat sich alles mit eigenen Augen angesehen.« Bryan lächelte zuversichtlich. »Da will ich hin, Little Red, und du kommst mit mir.«
Molly kuschelte sich an ihn. »Das wäre wunderbar, Bryan. Aber lange dürfen wir nicht mehr warten. Ich habe nur noch ein paar Dollar und kann froh sein, wenn ich über den nächsten Monat komme. Und Mister Silverstein, der Besitzer der Nähstube, ist auch mein Vermieter. Er lässt mich bestimmt nicht mehr dort wohnen. Wenn ich Pech habe, sitze ich morgen auf der Straße.«
»Nur noch ein paar Tage, Molly. Bis ich mit den Black Birds im Reinen bin. Wir haben noch was Wichtiges zu erledigen, dann kann es losgehen.«
Sie erschrak. »Etwas Wichtiges? Etwa einen Überfall?«
»Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest«, beruhigte er sie. »Aber ich bin den Black Birds einiges schuldig und muss einen Nachfolger bestimmen, bevor ich sie verlasse. Wir treffen uns jeden Abend hier, einverstanden? Um sechs Uhr. Und hab keine Angst, dich belästigt bestimmt keiner mehr.«
»Oh Bryan«, seufzte sie, »wenn wir nur schon weg wären.«
Mit einem flauen Gefühl im Magen kehrte sie am frühen Morgen nach Hause zurück. Die Freude darüber, nach fünf Jahren ihren geliebten Bryan wiedergefunden und die Nacht mit ihm verbracht zu haben, wurde von der Angst getrübt, während der letzten Tage in New York könnte noch etwas passieren, das ihre Flucht nach Westen verhindern würde. Die schicksalhaften Ereignisse, die ihre Flucht von der heimatlichen Farm bis ins ferne Amerika begleitet hatten, verboten ihr, mit ungetrübter Freude in die Zukunft zu blicken. Sie würde erst aufatmen, wenn die Häuser von New York hinter ihr zurückblieben.
Als sie ihr Zimmer betrat, war Fanny gerade nach Hause gekommen. Sie strahlte über das ganze Gesicht, und noch bevor Molly etwas sagen konnte, platzte sie heraus: »Stell dir vor, Molly! Ich hab meinen Mister Perfect getroffen! Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, ein ehrenwerter Mann, der mich tanzen gesehen hat und mir zu einer großen Karriere verhelfen will. Er will mir tatsächlich helfen, Molly! Er ist kein Blender, der mich auf diese Weise ins Bett kriegen will. Er ist ein Theateragent, ein einflussreicher Mann, der Schauspieler an Theater in ganz Amerika und sogar nach Kanada vermittelt.«
»Ein ehrlicher Mann?«, zweifelte Molly. »In einem Tanzclub?«
Fanny ließ sich nicht von ihrer Begeisterung abbringen. »Ich kenne die Männer. Glaub mir, ich kenne sie wirklich und weiß ganz genau, ob sie mir nur schmeicheln oder tatsächlich helfen wollen. George meint es ehrlich. George Dillard, so heißt mein Agent. Er glaubt, dass ich Talent habe. Zum Tanzen und als Schauspielerin. Und er sagt mir eine große Karriere voraus.«
»Das wäre wunderbar«, sagte Molly immer noch zweifelnd, »das wäre wirklich fantastisch. Ich hoffe, dass dein Traum in Erfüllung geht, Fanny!«
»Und deiner, Molly? Du siehst so ... so anders aus.«
»Ich habe Bryan gefunden.«
»Du hast ... was?«
»Ich habe Bryan gefunden, Fanny! Wir lieben uns immer noch und haben die ... die Nacht zusammen
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