Am Ufer Des Styx
nach deinem Vater dir manches über ihn offenbart, von dem du nichts wusstest? Geheimnisse, die er tief in seinem Inneren verwahrte, ohne dir jemals davon zu erzählen?«
Sarah schluckte, ihre Kehle fühlte sich an wie ausgedörrt. Tatsächlich hatte die Reise nach Alexandrien Dinge über ihren Vater ans Licht gebracht, von denen sie bis dahin nichts geahnt hatte. Informationen, die er seiner Tochter bewusst vorenthalten hatte – um sie zu schützen, wie er sagte.
Aber wer wusste mit Bestimmtheit zu sagen, ob es nicht noch mehr Heimlichkeiten gegeben hatte …?
»Wovon genau sprichst du?«, erkundigte sie sich vorsichtig – und biss sich auf die Lippen, als sie das triumphierende Grinsen sah, mit dem Mortimer Laydon ihre Frage quittierte.
»Du möchtest das Geheimnis ergründen?«, erkundigte er sich.
»Sonst hätte ich wohl kaum danach gefragt.«
»Hast du denn keine Angst vor dem, was ich dir enthüllen könnte?«
»Wieso sollte ich? Du hast mir bereits alles genommen, das mir etwas bedeutet hat. Du bist nur noch ein Schatten, nicht mehr. Ich habe keine Angst vor dir.«
»Wirklich?« In Laydons Augen blitzte es gefährlich. »Wie einfältig und naiv du bist. Selbst hier an diesem Ort, trotz der Fesseln, die mich halten, habe ich noch immer die Macht, dich zu vernichten.«
»Wage es nur – ich werde die Wachen rufen und dich zurück in das finstere Loch stecken lassen, aus dem du gekrochen bist.«
»Um deine Welt zu erschüttern, brauche ich dich nicht einmal zu berühren, Sarah Kincaid. Schon deshalb solltest du mich fürchten – ebenso wie du die Wahrheit fürchten solltest.«
»Welche Wahrheit?«
»Die dir ein Leben lang vorenthalten wurde. Die dein Vater nie auszusprechen wagte, obgleich er sie gekannt hat. Die Wahrheit über deine Herkunft, Sarah Kincaid. Jene Wahrheit, die besagt, dass nicht Gardiner Kincaid dein leiblicher Vater ist.«
»Ach nein?«
»Nein«, bestätigte Laydon flüsternd, »sondern ich.«
»Was?« Sarah glaubte, nicht recht zu hören. »Du hast in der Tat schon viel Unsinn von dir gegeben, alter Mann – aber das ist das Absurdeste, was ich je aus deinem Mund …«
»Gardiner Kincaid mag der Mann gewesen sein, der dich aufgezogen hat und den du deinen Vater nanntest«, fuhr Laydon ungerührt fort, »aber das ändert nichts daran, dass ich es war, den deine Mutter geliebt und der seinen Samen in ihren Schoß gepflanzt hat.«
»Nein«, sagte Sarah, während sich alles in ihr empörte. Ihre Übelkeit nahm noch zu, die Knie wurden weich und schwammig. »Das ist nicht wahr!«
Laydon lachte nur. »Gardiner hat immer gewusst, dass du nicht sein eigen Fleisch und Blut bist – auch wenn er wohl völlig ahnungslos war, was mich betraf. Aus diesem Grund hat er dir nie von deiner Mutter erzählt, mein Kind. Denn jedes Mal hätte er sich dadurch nur an seine größte, an seine bitterste Niederlage erinnert.«
»Lügner!«, rief Sarah und sprang auf. »Das hast du dir nur ausgedacht …«
»Möglicherweise«, räumte Laydon grinsend ein, »dann brauchst du meinen Worten ja keine Bedeutung beizumessen. Aber ein Teil von dir hat immer gewusst, dass du nicht wirklich zu ihm gehörst, nicht wahr? Trotz der starken Bande zwischen euch waren da immer Zweifel, richtig? Blieb stets ein Hauch von Fremde …«
»Bastard«, zischte Sarah und musste an sich halten, um nicht mit geballten Fäusten auf den Gefangenen einzudreschen, der gefesselt, aber keineswegs wehrlos vor ihr saß. »Unbegreiflicher, elender Bastard! Ich habe genug von deinen Lügen und deinem Gift!«
Wütend wandte sie sich ab und wollte die Verhörkammer verlassen – dass sie es nicht tat, lag an Laydon, der in wieherndes Gelächter verfiel. »Sieh an, Sarah Kincaid«, rief er ihr hinterher. »Ist dein Hass also doch größer als deine Liebe?«
Abrupt blieb sie stehen, starrte ihn aus großen Augen an.
»Gib es zu«, forderte Laydon sie auf. »Wir beide sind uns ähnlicher, als du zugeben willst.«
»Ist es dir nur darum gegangen?«, fragte sie. »Hast du mir diese Lügengeschichte nur erzählt, um mich zu provozieren?«
»Das wäre dir am liebsten, nicht wahr?«, fragte er dagegen und lachte gackernd. »Aber es war keine Lüge – du bist so wenig Gardiner Kincaids leibliche Tochter, wie ich ein unbescholtener Bürger bin. Aber wir beide sind Menschen voller Leidenschaft. Das haben wir gemeinsam, Sarah, ob es dir gefällt oder nicht.«
»Wir haben nicht das Geringste gemeinsam«, widersprach Sarah entrüstet. »Du
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