Am Ufer Des Styx
Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und mit ebenso schwarzen Tüchern um die Köpfe, die nur die Augenpartie freiließen. Mordlüsterne Blicke trafen Trevor und ließen seine Entschlossenheit verpuffen.
Wie angewurzelt blieb er stehen und starrte auf die Vermummten, die über den alten Mann im Nachthemd in spöttisches Gelächter verfielen. Plötzlich loderte ein Streichholz auf, und entsetzt musste Trevor erleben, wie das erste der bis zur hohen Decke mit Büchern gefüllten Regale in Brand gesteckt wurde. Mit einem dumpfen Knall fing es Feuer, und der Wissensschatz, auf den sowohl Lord Kincaid als auch seine Tochter solch große Stücke gehalten hatten, wurde ein Fraß blauer und gelber Flammen.
»Neeein!«, entfuhr es dem Verwalter.
Tränen schossen ihm in die Augen – die Vermummten jedoch lachten nur und schickten sich an, das nächste Regal anzustecken. Ein neuer Kanister Petroleum wurde geöffnet, der Inhalt über die Bücher ausgegossen – und schon ließ ein weiteres Streichholz das Wissen vergangener Jahrhunderte in Rauch aufgehen.
»Ihr elenden, verfluchten …«
Die knochigen Hände zu Fäusten geballt, wollte sich Trevor auf die Angreifer stürzen, sich den Weg zum Kamin frei kämpfen und zu dem Gewehr, das dort hing – ein heller, durchdringender Knall brachte seinen Sturmlauf jedoch zu einem jähen Halt.
Wie vom Donner gerührt hielt der alte Hausverwalter inne.
Er spürte keinen Schmerz, aber er fühlte, dass sich etwas verändert hatte. Langsam, wie in Trance, blickte er an sich hinab und sah, wie sich das Weiß seines Nachthemds in Höhe seines Herzens rot verfärbte. Stoßweise pulsierte Blut aus der Wunde, die die Kugel eines der Vermummten geschlagen hatte.
Trevor blickte auf. Er schaute seinem Mörder, der den rauchenden Revolver noch in den Händen hielt, in die kalten Augen. Dann, mit einem heiseren Ächzen auf den Lippen, brach er zusammen.
In seinem eigenen Blut liegend, wälzte er sich herum, starrte zur hohen Zimmerdecke empor, an der die Glut der Vernichtung leckte. Dann fiel das nächste Streichholz – und das Letzte, was der Hausverwalter sah, waren die grellen Flammen, die über ihm zusammenschlugen, die Bibliothek erfassten und Kincaid Manor in ein loderndes Inferno verwandelten.
2. BUCH
PRAG
1.
R EISETAGEBUCH S ARAH K INCAID
2. O KTOBER 1884
Am frühen Morgen, der einzigen Tageszeit, zu der der lärmende, qualmende und aus allen Poren stinkende Moloch London für kurze Zeit den Atem anzuhalten scheint, ehe er aufs Neue zu schreien, zu stampfen und zu dröhnen beginnt, haben wir die Stadt verlassen.
Der Antrag auf vorübergehende Haftentlassung für Kamal wurde in aller Eile gestellt, und wie Sir Jeffrey richtig vermutet hatte, hat das Gericht ihm stattgegeben. Zum einen ist dies fraglos dem Einfluss Jeffrey Hulls zuzuschreiben, der vor den Richtern des Supreme Court nach wie vor hohes Ansehen genießt und sich persönlich für die Rückkehr Kamals verbürgt hat; zum anderen aber auch der Tatsache, dass sich mit Horace Cranston ein Mediziner von untadeligem Ruf bereit erklärt hat, als offizieller Beobachter an der Reise teilzunehmen.
Um sorgfältige Vorbereitungen zu treffen, fehlte die Zeit. Der Entschluss, mich erneut auf Reisen zu begeben, war ebenso unvermittelt über mich hereingebrochen wie die Ereignisse, die dazu geführt hatten. Es genügte gerade, um das Notwendigste einzupacken und zu besorgen – darunter auch einen Colt Frontier 1878, jenes Modell, das schon mein Vater benutzte und das mir auf vorangegangenen Reisen stets ein zuverlässiger Begleiter gewesen ist. Sir Jeffreys Worten eingedenk, denen zufolge Prag eine Falle sein könnte, will ich zumindest die Möglichkeit haben, mich gegen etwaige Angreifer zu verteidigen.
Wichtiger scheint es mir jedoch, innerlich gewappnet zu sein gegen das, was mich im fernen Böhmen erwarten mag …
3. O KTOBER 1884
Bei stürmischer See und hohem Wellengang haben wir den Kanal überquert. Ich wage kaum, mir vorzustellen, was diese zusätzlichen Strapazen für meinen armen Kamal bedeuten mögen, und ich klammere mich an den Gedanken, dass es der einzige Weg ist, ihn zu retten. Zusätzlich zu dem abgekochten Wasser, das wir ihm fortwährend einzuflößen versuchen, wird ihm einmal pro Tag auf künstlichem Wege Nahrung zugeführt, in einer Prozedur, die mich jedes Mal erschaudern lässt. Wüsste ich nicht um Kamals robuste Natur und seinen eisernen Willen, so hätte ich vielleicht schon aufgegeben und ihn lieber in
Weitere Kostenlose Bücher