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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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geschleppt.«
    »Wer?«, wollte Sarah wissen. »Von wem sprechen Sie?«
    Im selben Moment waren aus dem Stollen jenseits des Labors Schritte zu hören. Schwere Schritte, die sich knirschend über nackten Stein bewegten und näher kamen.
    »Wer?«, fragte Sarah noch einmal.
    Hingis hob seine verstümmelte Linke. »Sie würden es mir doch nicht glauben«, flüsterte er mit glasigem Blick.
    Sarah fuhr herum und wandte sich dem Gitter zu. Die Kammer war nicht hoch genug, um ganz aufrecht darin stehen zu können, deshalb kauerte sie vor den Eisenstäben, den Colt schussbereit in den Händen, während sich die schwerfälligen Schritte weiter näherten. Ein Schatten war plötzlich an der Wand zu sehen, die Silhouette einer riesenhaften, gebückt gehenden Gestalt, die einen weiten Umhang trug und deren Gang schleppend und träge war.
    »Der Golem«, entfuhr es Sarah – und im nächsten Moment betrat der Hüne das Labor.

5.
    Sarah hielt den Atem an, während sich die riesenhafte Gestalt, die nun erstmals richtig zu sehen war, humpelnd auf sie zu bewegte. Noch immer ließ die Kapuze keine Gesichtszüge erkennen, aber selten zuvor in ihrem Leben hatte Sarah jemanden gesehen, der sich mit derartiger Schwerfälligkeit fortbewegte. Demnach sprach rohe, ungebändigte Kraft aus jedem der Schritte.
    »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«, verlangte sie mit vorgehaltener Waffe zu wissen, als sich der Hüne näherte.
    »Sollte nicht ich diese Frage stellen?«, drang es aus der Kapuze zurück. Die Stimme hörte sich dumpf und unheimlich an, als ob sie aus großer Tiefe dränge – oder aus ferner Vergangenheit … »Schließlich sind Sie es, die widerrechtlich in mein Reich eingedrungen ist.«
    »Nachdem Sie mich hergelockt hatten«, konterte Sarah ungerührt. »Und nachdem Sie einen Freund von mir entführt hatten.«
    »Von Ihrem Freund wussten Sie nichts. Ihnen ging es nur darum, Wissen zu erwerben. Das Geheimnis des Golems zu lüften …« Die Stimme des Riesen ging in hohl klingendes Gelächter über.
    »Was ist daran so komisch?«, wollte Sarah wissen.
    »Was bringt Sie darauf, dass ausgerechnet Sie, Lady Kincaid, würdig sein könnten, dieses Geheimnis zu ergründen?«
    »Sie kennen meinen Namen?«
    »Ich weiß, wer Sie sind – und ich kenne den Grund für Ihre Anwesenheit in Prag …«
    »Wer sind Sie?«, fragte Sarah abermals. »Nehmen Sie die Kapuze ab, sofort!«
    »Und Sie glauben, dadurch könnten Sie erkennen, wer ich bin?«
    »Runter damit, los«, verlangte Sarah streng und zog den Spannhahn des Colts zurück, um zu verdeutlichen, dass sie zum Äußersten entschlossen war.
    »Wie Sie wünschen«, entgegnete der Hüne, fasste die Kapuze mit der behandschuhten Rechten und schlug sie zurück.
    Was darunter zum Vorschein kam, erschreckte Sarah – denn der namenlose Riese hatte kein menschliches Gesicht. Leblose, steinerne Züge waren es, die ihr entgegenstarrten, das Antlitz einer lebensgroßen tönernen Figur.
    »Der Golem«, entfuhr es ihr abermals. »Also ist es wahr …«
    Das Gelächter setzte sich fort, und in diesem Moment ging Sarah auf, dass dort, wo sich Stirn und Mund des Lehmwesens befanden, zwei dunkle Öffnungen klafften. Der Hüne griff sich mit beiden Händen ans Haupt und demaskierte sich abermals – und was diesmal zum Vorschein kam, entsetzte Sarah beinahe noch mehr als der Anblick des vermeintlichen Golems. Denn der Hüne, der ihr auf der anderen Seite des Gitters gegenüberstand, hatte nicht zwei Augen, sondern nur eines, das sich in der Mitte seiner hohen Stirn befand und ihm ein schauriges Aussehen verlieh.
    »Sie sind kein Golem«, zischte Sarah, während sie zurückwich, bis sie gegen die Rückwand der Kammer stieß. »Sie sind ein Zyklop …«
    »Das versuchte ich dir zu sagen«, meinte Hingis tonlos.
    »Nun, Lady Kincaid?«, erkundigte sich der Einäugige. »Was sagen Sie jetzt?«
    Sarah wusste nichts zu erwidern. Ihr Verstand hatte Mühe, mit ihrem Entsetzen Schritt zu halten, und nur mit zäher Langsamkeit dämmerte ihr die Erkenntnis, dass sie einem Irrtum erlegen war. Ihre bisherige Annahme, der zufolge es sich bei dem Einäugigen, dem sie in den Tiefen Alexandrias begegnet war, um einen Einzelgänger gehandelt hatte, um eine skurrile Laune der Natur, war offensichtlich falsch gewesen. Natürlich, sagte sich Sarah und schalt sich selbst eine Närrin. Denn in erster Linie war es die Theorie Mortimer Laydons gewesen – eine weitere Lüge aus dem Mund des Verräters …
    »Was ist denn?«,

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