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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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zurückgeben. Mach dir keine Sorgen. Die Firma hat in meinem Inneren gelebt. Es war keine Absicht, Leonor, das hast du gewusst. Auch ich wollte fort von hier, aber bevor ich es mir versah, hatte ich keine Kraft mehr, dieses Haus zu verlassen, das mich aufnimmt, aber nicht das meine ist, es nie war, es ist das Haus meiner Eltern, auf das ich eine Wechselbürgschaft genommen habe, die anderen Wechselbürgschaften waren das Stück Obstland und das Grundstück in Montdor – für den aufgenommenen Kredit, eine Summe, die ich dem Geld vom Bankkonto hinzugefügt habe, um paritätischer Teilhaber bei Pedrós’ letztem Bauprojekt zu werden. Ich hatte nie eine eigene Wohnung gehabt und war plötzlich Mitbesitzer von mehreren Dutzend. Hier habe ich nie Möbel kaufen und sie nach meinen eigenen Vorstellungen auf die Räume verteilen können, ich habe nie jemanden herbringenkönnen, ich habe dich nicht nach Hause bringen können, Leonor, mich nicht mit dir in mein Zimmer einschließen und unser Zimmer sagen können, aus dem Bad kommen und nackt über den Flur gehen, du und ich, auf der Dachterrasse in der Sonne liegen oder vögeln, ohne befürchten zu müssen, dass man uns vom Nebenzimmer aus stöhnen oder ächzen hört oder auch nur das Quietschen der Sprungfedern mitbekommt, nicht einmal in Ruhe onanieren konnte ich, da war immer der wachsame Blick meiner Mutter: Esteban, ich möchte nicht, dass du dich in dein Zimmer einschließt, denk nur, es passiert dir was. Die strenge Stimme meines Vaters: In diesem Haus gibt es keine Diebe, kein Grund also, die Zimmer abzusperren. Aber nicht nur deshalb, weil die Schreinerei Teil des Hauses war, in dem ich gelebt habe, tut es mir weh, sondern auch, weil ich das Kreuz der Firma mehr als vierzig Jahre lang getragen habe, was habe ich denn schon anderes getan: doch nur Fischen und Jagen, ein paar Kartenspielchen am Abend, freitags und samstags ein paar Jahre lang Alkoholinfusionen, und in der Zeit, in der weder Haus noch Werkstatt dran waren, ein überstürzter Ausflug in Gegenden, die ich für gefährlich hielt – die Stones, Lou Reed, David Bowie, Crosby, Stills, Nash & Young, Creedence Clearwater Revival, Jimi Hendrix –, und der doch folgenlos blieb, dabei hätte er zur
éducation sentimentale
eines Helden unserer Zeit gehö ren müssen, wie es bei Francisco war, hörst du nicht all diese Musik? Sie ist doch da, ich höre sie doch, du musst sie hören, alles gleichzeitig in der Luft, und es macht mich verrückt. Die Liste könnte man ums Zehnfache verlängern, wahrscheinlich wegen Mangels an Urteils fähigkeit oder eines gefestigten, ausgereiften Geschmacks, weil ich nicht die Fähigkeit hatte zu sagen, das hier ist genial, das da ist Scheiße, wie es Leonor machte, um dann dem einmal Gewählten entgegenzustürzen, egal was man dabei niederwalzt. Ich habe hier und dort gepickt, und alles erschien mir gut, nahrhaft, wahrscheinlich war ich unfähig, meinem Verhalten eine Linie zu geben: Mangel an Charakter, Trägheit. Wie soll ich es nennen? DiePause Mitte der Sechziger hat mich aus unserem Dorf hinausgetragen, und ich hatte nicht den Mut oder nicht die Intelligenz, diese Erfahrung zum Keim einer neuen Lebensform zu machen; wie Álvaro habe auch ich den Verzicht, das Sofa gewählt: Am Anfang habe ich dieses Sofa Leonor genannt – schön blöd von mir, sie war die Unruhe schlechthin, ein ständiges Wählen zwischen diesem und jenem –, doch Leonor entschied sich und ging fort, und ich blieb hier, und da war die große Einsamkeit der Werkstatt in Olba, nicht einmal in die Bar ging ich (da tauchen wieder die Symptome der Infektion auf, die mir von meinem Vater überkommen ist), ich traf niemanden, ging wochenlang nicht aus dem Haus; ja, ich war ein Nachkomme meines Vaters, so wie er sich nach der Rückkehr von seinem Krieg gab, so ich nach dem meinen. Bei ihm war es das Eis von Teruel, bei mir waren es die verregneten Boulevards, das orangefarbene Licht und die Kälte von Paris. Zwei Geschlagene. Sobald ich die Werkstatt von innen absperrte, stieg ich die Treppe zur Wohnung hoch und ging in mein Schlafzimmer, landete an einem Ort, der ein Nichtort war, am Anfang empfand ich darin Klaustrophobie, während ich wieder und wieder die Dutzende von mitgebrachten Schallplatten hörte, dazu jene, die Francisco mir bei seinen Besuchen geschenkt hatte. Es reichte nicht, das Fenster zu öffnen, um meine Beklemmung loszuwerden, die Mauern lagen um Olba, ich konnte sie beinahe sehen, dort hinten,

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