Am Ufer (German Edition)
in der Luft schweben. In dem Büro gibt es ein Buch, in dem diese Hölzer beschrieben werden, die dort auf dem Kai liegen und von denen mein Vater spricht, während wir uns fortbewegen zwischen Waggons, Kleinlastern, Wagen, von schweren Percherons gezogen, Planwagen, deren Kutscher an die Kasten gelehnt oder auf dem Bock sitzend rauchen, zwischen all den Schauerleuten, die wie emsige Ameisen hin und her laufen. Ich vergleiche diese Stämme mit den Illustrationen des Buches, jetzt auf dem Kai sehe ich sie in ihrer natürlichen Größe und in ihren Farben, heller oder dunkler, braun oder meliert, statt nur schwarz-weiß wie in Vaters Buch. Wieder daheim sitze ich neben ihm in der Schreinerei und lese, geführt von seinem Finger, den er unter jedes Wort legt, bis ich es ausspreche: Der Zuckerahorn stammt – was heißt stammt, Vater, frage ich – aus den Rocky Mountains und aus Kanada, er ist hell, ideal für harte Parkettböden, für Rollschuhbahnen oder Tanzflächen; Guajakholz kommt ursprünglich aus Brasilien, es wird für feine Möbel eingesetzt. Ebenfalls aus Brasilien kommt der Pino Paraná oder die Araukarie, die ob ihres so einzigartig honigfarbenen Holzes geschätzt wird und weil sie keine Jahresringe aufweist; ebenfalls aus Amerika stammt die Sumpf- oder Harzkiefer, die ob ihrer Widerstandsfähigkeit in unserer Gegend so häufig für Bindebalken eingesetzt worden ist. Er legt seinen Finger auf die Stiche und zeigt mir im Buch Stämme wie die, die wir jetzt auf dem Zement liegen sehen, und andere, die ich auch vierzig Jahre später noch nicht gesehen haben werde. Beim Lesen frage ich ihn immer wieder nach der Bedeutung der Wörter, die ich laut ausspreche. Einen Gutteil davon verstehe ich nicht: stammen, exzellent, Bindebalken. Aber das Geheimnis, das dieses unbekannte Vokabular einzuschließen scheint, lässt meine Neugier wachsen. Wochenlang werde ich versuchen, diese Worte in das, was ich rede, einzuflechten, und so sage ich dann Dinge wie: die Milch stammt von der Kuh oder das Brot ist heute exzellent, und dabei fühle ich mich dann wie ein reifer Mann, der gewisse Geheimnisse kennt.
Auf seinem Fronturlaub sagt mein Vater: Um eine Arbeit zu lieben, musst du sie beherrschen, wissen, wozu sie gut ist, aber auch wissen, was du da in den Händen hältst, die Materialien, mit denen du arbeitest, musst sie respektieren – in ihren Qualitäten und ihren Mängeln – und musst wissen, wie schwer es ist, sie zu bekommen: Wir sind keine Künstler, sondern Kunsttischler, Handwerker, obwohl du, wenn das hier vorbei ist, zurück an die Schule für Kunst und Gewerbe gehen und versuchen kannst, ein Künstler zu werden. Wie auch immer, denk daran, dass ein guter Schreiner nicht derjenige ist, der Wunderwerke aus Holz herstellst, sondern jener, der von seiner Arbeit mit dem Holz lebt, erst mal überleben, dann philosophieren oder Kunst machen, was auch immer du machst, es muss dich ernähren. Außerdem musst du im Schlaf die Funktion jedes Werkzeugs kennen. Schau, fass diesen Stuhl an – er legt seine Hand auf die Lehne –, er ist aus der kombinierten Arbeit von Mensch und Natur entstanden, es haben ihn Menschen hergestellt, die sprechen, denken, und es hat sehr viel Mühe gemacht. Das Möbel, das du hergestellt hast, trägt den Hintern oder die Ellbogen oder die Hände und die Papiere, die Tischdecken und die Teller und die Gläser von jemandem, der schlau oder dumm, reich oder arm ist, jemand, der sich, dank deiner Arbeit, eine gewisse Bequemlichkeit gönnen kann, bei der er sich vom täglichen Trubel oder der Erschöpfung erholen kann, das Kopfteil des Bettes beschützt den Schlaf der Körper – egal ob sie wohlgeformt oder unförmig sind – Tausende von Nächten lang, begleitet dich, wenn du schläfst oder krank bist, und ist an Ort und Stelle und stützt das Kopfkissen, auf den du deinen Kopf an dem Tag legst, an dem du stirbst, stell dir vor, so wichtig ist das Kopfteil eines Bettes. Mit einem Bett, einem Nachttischchen lässt der Kunde dich an einer Intimität teilhaben, wo er keinen anderen dulden würde; und dann arbeitest du ja mit Hölzern von Bäumen, die auf anderen Kontinenten gewachsen sind und von Männern mit ihrem Werkzeug gefällt wurden, die Stämme dieser Bäume haben Tausende von Kilometern hinter sich gelegt, bevor sie hier ankamen, die Arbeit von Holzfällern, Trägern, Chauffeuren, Packern, Stauern, Seeleuten war vonnöten, sie sind geschleiftworden von Ochsen- oder Maultierkarren, lagen in
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