Am Ufer (German Edition)
weiß, dass Ahmed ihn von jenen Geschäften her kennt, er hat eine Weile als Obstpflücker gearbeitet, bevor er als Maurer beschäftigt wurde und dann zu mir in die Schreinerei kam, und ich habe bemerkt, dass er ihn jedes Mal, wenn wir auf ihn treffen, mit einer besonderen Neigung des Kopfes begrüßt; diese Marokkaner kennen sich bestens mit den Schiebungen bei den Straßenmärkten aus, den krummen Geschäften mit Obst, Kleidung, auch im Alteisen-
bisnes
und mit den Motorbootrouten für die Schokakoka über das Alborán-Meer zu irgendeiner unserer Buchten sowie mit den Internet-Anzeigen von Gigolos und Strichjungen; auch sie, die Marokkis, bilden im diffusen Grenzbereich zum Lumpenproletariat komplexe Dienstleistungsunternehmen, wenn auch mit einer sicherlich bescheideneren Gewinnmarge. Sie konkurrieren – nicht immer freundschaftlich – mit den Zigeunern; die Könige all dieses Handels sind heute allerdings die Rumänen, Bulgaren, Polen, Georgier und Litauer, also vor allem diese fluktuierende Menge, die wir als ehemaligen Ostblock bezeichnen, Spezialisten in Kupfer, hochpreisigen Autos, Einbruchdiebstählen mit Mauerdurchbruch oder gleich mit Heckbaggern (ja, die sind sehr nützlich, um Geldautomaten mit Stumpf und Stiel auszureißen oder gut verankerte Safes herauszubrechen), vor allem aber sind sie Experten im Einsatz von unverhältnismäßiger Gewalt: Die Typen sind fähig, zwei Rentnern den Schädel einzudrücken, damit sie ihnen das Versteck der fünfzig Euros verraten, mit denen sie bis ans Ende des Monats zu kommen hofften.
Immer noch redet der Sklavenhalter:
»Keiner will ein Leben wie alle anderen haben, keiner will, dass in seiner Todesanzeige steht: Er wurde geboren, lebte, arbeitete, vermehrte sich und starb, also trachten die Menschen danach, auf se henerregende Dinge zu vollbringen, absurde Dinge, schwere, müh same Dinge, die zu tun sie sich weigern würden, wenn sie ihnen denn in einem Arbeitsvertrag auferlegt würden. So ist es. Seit die Welt besteht. Tomás Pedrós dachte, dass er wie der Corte Inglés wachsen könnte oder wie Inditex oder Mercadona, oder wie dieser Bañuelos, der hier abgesahnt hat und jetzt, glaube ich, wie ein Verrückter in Brasilien baut – in seinem Fall ging es darum, emsig wie ein bösartiger Tumor zu wachsen. Etwas davon, von einem bösartigen Tumor, hatte auch Justino selbst, wie die Tumore wuchs er in der Stille und im Dunklen. Wir lachen, auch ich, obwohl ich befürchte, dass sie mir ansehen, wie gezwungen mein Lachen ist, ich fühle mich wie der letzte Dreck.
»Auf den Putz hauen, überall die Finger drin haben«, sagt Bernal sanftmütig, und ich glaube, er blickt mich dabei von der Seite an, oder ist das jetzt meine Paranoia?
Nun lädt Justino nach:
»Der Mensch als seines Glückes Schmied. Die Filme aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, sogar noch die von heute, tragen solch vergiftete Botschaft in sich. Die Saga der Kennedys, die der Obamas. Pedrós stand darauf, auf diesen ganzen Quatsch von der Freiheit des Individuums, von Wille und Anstrengung, dem Sieger, der seine überschüssige Energie im Spa und auf dem Paddle-Platz ausschwitzt, wo er sich mit anderen Siegern trifft, die ihm dabei helfen, seinen Weg zu gehen dank eines Netzes von Beziehungen, und das heißt dann Synergie. Er war sehr ehrgeizig, aber auch einfallsreich. Und ein Mythomane. Sein erster Fetisch: er selbst. Er flirtete gerne und stellte sich auch gern zur Schau.«
»Die Zeiten waren dafür wie geschaffen«, schließt Bernal.
Justino korrigiert:
»Nicht alle sind in die Falle getappt.«
Natürlich nicht: Unser Lecter stellt sich nicht gern zur Schau. Er ist kein Schmetterling, sondern ein Nachtfalter: Er bewegt sich zwischen nächtlichen Schatten, wo das Böse funkelt und die Dämonen der Finsternis ihr Lager haben, Hilfsarbeiter, die schmutzige Kohle in unsere Albträume schaufeln. Justino Lecter deckt zu, vertuscht, versteckt. Sein Leben ist ein Rätsel, man muss das, was hinter seinen Worten hervorkriecht, erraten, er ist ein Orakel des Trüben, eine Sibylle des Klebrigen: Er verbirgt die Wahrheit mit Lügen und die Lügen mit Halbwahrheiten. Man hat immer den Eindruck, von ihm betrogen zu werden; wenn er dir sagt, was für ein schöner Tag, und mit dem Finger auf die Sonne zeigt, kannst du sicher sein, dass es sich um ein Manöver handelt, um dich von dem, was gerade auf Bodenhöhe passiert, abzulenken. Obwohl er seine Vorsichtsmaßnahmen ergreift und sich vor dem Finanzamt
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