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.Am Vorabend der Ewigkeit

.Am Vorabend der Ewigkeit

Titel: .Am Vorabend der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: .Brian W. Aldiss
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nicht.
    Immer höher kamen sie. Um sie herum wurde es langsam heller. Und dann verließen sie endlich die Zone der ewigen Finsternis und wurden in die Strahlen der roten Sonne getaucht. Hungrig nach Wärme und Licht reckten sie ihre Arme dem Gestirn entgegen. Langsam nur gewöhnten sich ihre Augen an die lang entbehrte Helligkeit.
    Die Sonne schien zusammengedrückt worden zu sein. Sie hatte die Form einer flachliegenden Zitrone – ein Effekt, an dem die Atmosphäre und Lichtbrechung schuld waren. Sie lag auf dem Horizont der Zwielichtwelt, und ihre Strahlen erreichten nur die höchsten Gipfel. Dazwischen lagen die nachtdunklen Täler und Ebenen. Die Welt bestand hier nur aus Schattenmeer und Lichtinseln.
    Immer noch kletterte der Stelzer den Gipfeln entgegen. Manchmal begegnete ihm eine Kriechhand, die es eilig hatte, ins Tal zu gelangen. Sie zog es zum fernen Meer und zur Tagesseite der Welt – dorthin, woher die Stelzer kamen, von denen sie abstammten. Der Kreislauf war ohne Ende.
    Als der Stelzer endlich anhielt, geschah es auf einem Plateau, das genau zwischen den drei Gipfeln lag.
    »Bei den grünen Geistern!« rief Gren erregt aus. »Es sieht so aus, als wären wir da.«
    Yattmur sah sich wie suchend um.
    »Und wie sollen wir zum Boden gelangen, wenn er seine Füße nicht eingräbt?«
    »Dann müssen wir hinabklettern«, sagte Gren. Der Stelzer machte keine Anstalten, Wurzeln zu schlagen. Gren ging zum Rand der Blüte und beugte sich über ihn. Er überdachte die Situation. Sie hatten kein Seil, und die glatte Haut der gereiften Samenkapsel machte es unmöglich, über sie zum Stengel zu gelangen. Plötzlich wurde Gren auch klar, warum die Kapseln voller Samen waren, obwohl der Stelzer noch Blüten hatte. Es waren Pseudoblüten, die zum Segeln auf dem Wasser dienten.
    »Die Morchel hat uns geraten, in aller Ruhe abzuwarten.« Gren setzte sich wieder. Er legte seinen Arm um Yattmur und schien sich seiner Hilflosigkeit zu schämen.
    Sie warteten. Nachdem sie ein wenig der verbliebenen Vorräte verzehrt hatten, schliefen sie. Als sie wieder erwachten, war nichts geschehen, außer daß noch mehr Stelzer herbeigekommen waren. Bewegungslos standen sie an ihren Plätzen. Am Himmel zogen dicke Wolken auf.
    Es wurde kalt. Die Menschen drängten sich mehr zusammen, denn sie froren. Schließlich begann es zu schneien. Die Flocken waren wie kalte Küsse auf ihrer Haut. Der Boden weichte auf, und die Füße des Stelzers sanken ein wenig ein. Sie begannen sich einzurollen. Langsam sank die riesige Samenkapsel tiefer. Auch die anderen Stelzer wurden kleiner.
    Die lange Reise und die entsprechende Beanspruchung hatten die Stengel stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie brachen, als der kritische Punkt ihrer Leistungsfähigkeit überschritten wurde. Als die Beine wegknickten, fiel die Samenkapsel die restlichen Meter und zerbarst beim Aufprall. Die Samen wurden in alle Himmelsrichtungen davongeschleudert.
    Dieser plötzliche Zusammenbruch im Schnee des Hochplateaus war zugleich Ende und Beginn der langen Reise des Stelzers. Die Übervölkerung der fruchtbaren Tagseite hatte sie zu dieser Maßnahme gezwungen. Hier in der Zwielichtzone, wo der Dschungel nicht gedieh, konnte sich der Samen ungestört entwickeln. Hier begann der endlose Zyklus. Auf diesen Gipfelregionen im rosigen Schein der immer gleichbleibenden Sonne dicht über dem Horizont entstanden aus jungen Pflanzen eines Tages die kleinen Kriechhände. Sie machten sich, von ihrem Instinkt getrieben, auf die Wanderschaft, überwanden alle Hindernisse und erreichten endlich die warmen Inseln des ewigen Tages, wo sie ihre sechs Wurzeln in die Erde versenkten. Wenn ihre Zeit kam, wanderten sie wieder zurück in das Land ihrer Kindheit, um bei ihrem Tode neues Leben zu spenden.
     
    Als die aus sechs Kapseln vereinigte Samentrommel platzte, wurden die Menschen ebenfalls in den Schneematsch geschleudert. Sie erhoben sich mit steifen Gliedern. Immer dichter fiel der Schnee, und sie konnten sich gegenseitig kaum noch sehen. Der Schnee blieb auf ihrer Blätterkleidung haften; nur von der nackten Haut schmolz er ab.
    Yattmur kümmerte sich um die Fischer, damit sie nicht verlorengingen. Im Schneetreiben erkannte sie eine menschliche Gestalt und lief zu ihr. Sie packte zu, denn es konnte nur der dritte der Fischer sein. Aber dann erblickte sie ein fremdes Gesicht mit gebleckten Zähnen und glühenden Augen. Ehe sie eine Bewegung der Abwehr machen konnte, war der Unbekannte

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