.Am Vorabend der Ewigkeit
der Lederschwingen legte die Flügel an und begann zu stürzen. Sie raste direkt auf eine Steilwand zu, prallte mit voller Wucht dagegen und fiel dann auf das darunterliegende Plateau.
Ein Stück entfernt hatte einer der Fischer den tödlichen Sturzflug ebenfalls beobachtet. Er rief seinen Gefährten einige Worte zu und rannte dann auf die Stelle zu, wo das Tier in den letzten Zuckungen lag.
Aber noch jemand, so konnte Yattmur beobachten, interessierte sich für den abgestürzten Vogel. Sie sah eine Gruppe menschenähnlicher Geschöpfe hinter den Felsen hervorbrechen. Sie waren fast weiß, hatten lange, gerade Nasen und aufgerichtete, spitze Ohren. Sie zogen einen Schlitten hinter sich her.
Gren und Yattmur hatten sie »Bergohren« getauft und nahmen sich vor ihnen sehr in acht. Die Bergohren waren schnell, wendig und stets gut bewaffnet. Bisher hatten sie die Menschen allerdings noch nicht angegriffen.
Im Augenblick weilten auf dem unteren Plateau acht Bergohren, die drei herbeilaufenden Fischer und die überlebende Lederschwinge. Sie hatte sich noch nicht zur Flucht entschließen können und kreiste über dem nun toten Artgenossen.
Die Bergohren trugen Bogen und Pfeile. Yattmur machte sich plötzlich Sorgen um die drei Fischer, die sich ahnungslos der Gefahr näherten. Sie stand auf, preßte Laren an sich und rief:
»He, kommt zurück!«
Noch während sie rief, schnellte einer der Pfeile von der Sehne, aber er traf keinen Fischer, sondern die Lederschwinge. Das Tier stürzte ab und landete genau auf der Schulter eines Fischers, der von der Wucht zu Boden geworfen wurde.
Die beiden anderen Fischer eilten herbei. Auch die Bergohren kamen.
Die beiden Gruppen trafen sich in der Mitte des Plateaus.
Yattmur wartete nicht länger. Sie drehte sich um und rannte zu der Höhle, in der sie mit Gren und dem Kind lebte.
»Gren! Die Bergohren werden die Fischer töten. Können wir nicht helfen?«
Gren lag ausgestreckt in der Höhle, mit dem Rücken gegen einen großen Stein gelehnt. Die Hände hielt er gefaltet auf dem Bauch. Als Yattmur eintrat, sah er sie mit einem abwesenden Blick an, dann schloß er seine Augen wieder. Sein Gesicht war blaß. Es wurde von dem braunglitzernden Gewächs der Morchel eingerahmt, das bis zur Schulter herabreichte.
»Willst du nichts unternehmen?« fragte Yattmur ungeduldig. »Was ist denn mit dir los?«
»Die Fischer sind eine nutzlose Belastung.«
Er stand trotzdem auf, als sie ihm die Hand reichte und half. Halb gegen seinen Willen zog sie ihn vor die Höhle.
»Ich mag die Fischer und habe mich an sie gewöhnt«, sagte sie und sah auf das Plateau hinab.
Die drei Fischer befanden sich auf dem Rückweg zum Hang. Sie zogen eine der toten Lederschwingen hinter sich her. Neben ihnen gingen die Bergohren; auf ihrem Schlitten lag der andere Vogel. Beide Gruppen unterhielten sich miteinander und gestikulierten dabei lebhaft mit den Händen.
Es war eine merkwürdige Gesellschaft, die sich dem Höhlenhang näherte. Die Bergohren liefen mal auf allen vieren, dann wieder aufgerichtet auf nur zwei Beinen. Ihre Sprache hörte sich an wie Bellen, kurz, abgehackt und scharf. Yattmur konnte kein Wort verstehen.
»Nun, Gren?«
Er gab keine Antwort.
Fischer und Bergohren strebten nun auf die Höhle zu, in der erstere sich niedergelassen hatten. Sie sahen zu Gren her und winkten, erhielten aber keine Antwort.
Yattmur sagte:
»Gren, du hast dich so verändert. Du sprichst nicht und siehst krank aus. Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt und viele Gefahren überwunden. Oft hatten wir nur unsere Liebe, und wir brauchten nicht mehr. Jetzt ist es, als wärest du von mir gegangen. Ich liebe dich immer noch, Gren, aber alle meine Zärtlichkeiten sind vergebens. Sie können dich nicht mehr zurückholen. Was ist nur mit dir geschehen, Gren?«
Sie wollte ihn umarmen, aber er wich zurück. Und als er dann sprach, kamen seine Worte unpersönlich und ohne Wärme.
»Hilf mir, Yattmur. Ich bin krank, und du mußt Geduld mit mir haben.«
»Du wirst gesund werden, Gren. Aber was ist mit den Bergohren? Was wollen sie hier? Können sie friedfertig sein?«
»Du kannst ja hingehen und es herausfinden.« Er ließ ihre Hand los und kehrte in die Höhle zurück, wo er sich an der alten Stelle wieder niederließ. Yattmur blieb draußen. Sie setzte sich auf einen Stein und dachte nach. Was sollte sie tun? Was machten die Bergohren in der Höhle der Fischer?
Der Himmel bezog sich. Dann begann es zu schneien.
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