Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Frauenzeitschriften. Seither liebe ich diese Frauenzeitschriften. Die Brigitte -Diäten brachten den Erfolg. Heute noch blättere ich die Diätvorschläge in Brigitte oder freundin durch, und ich freue mich an den vielen Diäten mit Putenfleisch. Die moderne Frau achtet auf ihre Linie. Sie bestellt einen Salat mit Putenbruststreifen oder kocht irgend so einen asiatischen Reis mit Pute. Wunderbar.
Ja, die Frauen sind die Zielgruppe für die Puten. Wir schlachten die Puten für die weiblichen Verbraucher. 40000 Stück. Jeden Tag.
35. Stuttgart, Olgas Schlafzimmer, frühmorgens
Dengler schlägt die Augen auf und ist hellwach. Jakob? Wo ist Jakob? Das ist sein erster Gedanke. Er springt nackt aus dem Bett und sieht sich um. Olgas Seite ist leer. Er hastet in ihr Wohnzimmer. Auch dort ist sie nicht.
»Komm her und sieh dir das an!«
Ihre Stimme kommt aus ihrem kleinen, mit mehreren Computern und Bildschirmen vollgestopften Arbeitsraum.
»Ich habe ein weiteres Passwort deines Sohnes geknackt.«
Dengler tritt hinter Olga, berührt sie leicht an der Schulter und sieht auf den Bildschirm. »Leben und Sterben deutscher Puten«, liest er. Es ist der Titel zu einem Video.
Nachtaufnahme. Es ist dunkel, das Licht einer starken Leuchte streift an einem flachen, dunkelgrün gestrichenen Bau vorbei. Die Fenster sind mit grauen Planen verklebt.
Plötzlich die Stimme von Jakob: »In diesem Stall werden zehntausend Puten gemästet. Wir statten ihnen jetzt einen Besuch ab.«
Zielstrebig bewegt sich die Kamera auf eine Tür zu. Im Bild erscheint eine schmale Hand, die die Tür aufzieht. Eindeutig nicht die Hand seines Sohnes.
Wieder Jakobs Stimme: »Wir befinden uns jetzt im Vorraum.« Die Kamera sieht sich um, entdeckt einen Arbeitstisch, ein Regal mit Aktenordnern und ein Pult mit Knöpfen, Hebeln und Anzeigen.
»Das ist die Steuerungsanlage für die Fütterung.«
Die gleiche schmale Hand greift nun nach einem der Ordner. Eine zweite Hand taucht auf, das Gelenk ebenso schlank wie die erste. Diese Hände gehören eindeutig einer Frau oder einem Mädchen, registriert Dengler. Er nimmt ein Stück Papier und notiert diese Beobachtung. Die Hände blättern in dem Ordner, suchen etwas. Dann ein Dokument. Die Kamera zoomt nah auf das Papier, und Dengler hört erneut die Stimme seines Sohnes. »Das ist die Bescheinigung des Amtstierarztes. Alle Tiere dieser Mastanlage sind gesund.«
Der Ordner wird zugeklappt. Jetzt wendet sich der Blick nach rechts auf sechs oder sieben an die Wand gelehnte Säcke. Einige sind aufgerissen, andere verschlossen. Helles Pulver liegt am Boden und pudert die Oberfläche der aufgerissenen Säcke.
»Das ist das Antibiotikum, das an die Puten verfüttert wird.«
Die Kamera wackelt zu einer metallenen Innentür, das Bild bricht ab. Dann erscheint ein neues Bild ganz in Grün. Es zeigt dieselbe Tür.
»Um die Tiere nicht zu erschrecken, filmen wir jetzt mit Infrarot. Wir, meine Freunde und ich, tragen Nachtsichtgeräte.«
Die schmale Hand taucht erneut auf und zieht die Tür auf.
Die Kamera streift über einen riesigen Stall. Tausende weiße Puten drängen sich dicht an dicht nebeneinander. Es sieht aus wie ein weißes Meer, aus dem unzählige dunkle Köpfe ragen.
»Allein die Masse der Tiere erschlägt uns. Es herrscht hier ein ungeheurer Gestank wegen der Exkremente. Dazwischen nehme ich aber auch einen prägnanten süßlichen Verwesungsgeruch wahr.«
Die vorderen Tiere flüchten vor der Kamera. Sie erheben sich schwerfällig und wollen sich in eine Ecke zurückziehen. Doch immer, wenn sie aufstehen, fallen sie wieder um. Es ist ein absurdes Bild. Die Vögel wenden sich um, versuchen auf die Beine zu kommen und schaffen es nicht.
Die Kamera zoomt auf eines der vorderen Tiere. Jetzt sieht Dengler, dass das Gefieder nur weiß erscheint, tatsächlich ist es gefärbt mit Exkrementen. Er hört plötzlich die Stimme seines Sohnes: »Einundzwanzig Wochen lang stehen die Puten dicht gedrängt in diesem Stall. Einundzwanzig Wochen lang stehen sie dicht an dicht in der eigenen Scheiße.«
Das Bild zeigt jetzt, wie die Füße der vordersten Putenreihe in einem Gemisch von Kot und Urin versinken. Eines der Tiere pickt in das Ekelgebräu hinein und frisst davon.
»Sie fressen ihre Scheiße«, sagt Jakobs Stimme. »Sie fressen die Viren und Bakterien. Und nach einigen Wochen essen Sie diese Pute. Vielleicht an Weihnachten. Vielleicht befindet sich das Fleisch dieses Vogels als Putenstreifen in einem
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