Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
Anwalt, aber hast du nicht eine Verpflichtung Justine gegenüber? Darfst du überhaupt gegen sie ermitteln?«
»Nein, eigentlich nicht.« Sie seufzte. »Es ist nur so, dass ich mich verantwortlich fühle für das, was Vasquez widerfahren ist, und dass ich etwas tun sollte.«
Tony gähnte. »Also ich weiß, was wir tun sollten. Wir sollten ins Bett gehen. Ich bin hundemüde und muss morgen bei Tagesanbruch wieder aufstehen.«
»Ich helfe dir beim Aufräumen.«
»Nicht nötig. Geh doch schon ins Bad, während ich die Spülmaschine einräume! Das dauert nicht lange.«
Amanda ging zu Tony. Er nahm sie in die Arme, und sie lehnte sich an seine Schulter.
»Es ist schön, hier zu sein.«
Er küsste sie auf die Stirn. »Es ist schön, dich hier zu haben.«
Dann klopfte er ihr auf den Hintern. »Jetzt lass mich aufräumen, bevor ich einschlafe!«
Amanda gab ihm einen schnellen Kuss und ging nach oben. Als sie an der Badtür stand, hörte sie den Abfallzerkleinerer laufen. Dann wurde er wieder abgeschaltet. Sie öffnete ihren Koffer und holte ihre Toilettentasche hervor. Sie ging eben in Richtung Bad, als ihr Handy klingelte. Es steckte in ihrer Handtasche, und sie brauchte ein Weile, bis sie es gefunden hatte.
»Hallo?«
»Amanda?«
»Justine?«
Amanda hörte heftiges Atmen am anderen Ende.
»Sie müssen zu mir kommen, sofort. Wir müssen reden. Es geht um Vincent. Es ... es ist dringend.«
Justine keuchte beim Reden. Sie klang sehr aufgeregt.
»Was ist denn ...«
»Bitte kommen Sie sofort!«
»Justine, ich kann nicht ...«
Die Leitung war tot. Unten sprang die Spülmaschine an. Amanda lehnte sich über die Brüstung und rief Tony.
»Was ist denn?«
»Justine hat mich eben auf meinem Handy angerufen.«
Tony kam, ein feuchtes Geschirrtuch in der Hand, zum Fuß der Treppe. Amanda berichtete ihm im Hinuntergehen von dem Anruf.
»Sollen wir die Polizei rufen?«, fragte sie, als sie unten angelangt war.
»Was würdest du ihnen sagen? Wenn sie in Gefahr wäre, hätte sie bestimmt selber die Polizei angerufen.«
»Sie klang so aufgeregt.«
Tony überlegte einen Augenblick. »Lass uns hinfahren!«
Er ging zu einer Schublade und holte eine Pistole heraus.
Amanda riss erstaunt die Augen auf.
»Weißt du, wie man mit so was umgeht?«
»O ja«, sagte Tony. »Das hat mir mein Vater beigebracht. Er war ein Waffennarr. Ich habe zwar nie gern geschossen, aber jetzt bin ich froh, dass ich weiß, wie's geht.«
Justines Haus sah unheimlich und verlassen aus. Die Äste der nackten Bäume bewegten sich in der kühlen Nachtluft wie Skeletthände. Im Erdgeschoss brannte kein Licht, aber zwei der Gaubenfenster im Dach glühten fahlgelb wie Katzenaugen.
»Justine müsste uns doch eigentlich erwarten. Warum ist es unten dunkel?«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Tony, als sie aus dem Auto stiegen.
Er drückte auf die Klingel, während Amanda nervös über die Schulter und nach links und rechts sah. Als Justine auch nach dem zweiten Läuten nicht öffnete, drückte Tony auf die Türklinke.
»Abgeschlossen«, sagte er.
Die Vorhänge in den Frontfenstern waren zugezogen, aber zwischen Fensterbrett und Vorhangsaum entdeckte Amanda eine schmale Lücke. Tony zwängte sich durch eine Buchsbaumhecke und kauerte sich hin, um durch die Lücke in das Zimmer sehen zu können. Amanda wollte etwas sagen, aber Tony hielt den Finger an die Lippen und eilte zu ihr zurück. »Geh zum Auto und schließ dich ein«, flüsterte er eindringlich. »Ruf die Neun-eins-eins an. Justine ist da drinnen. Sie ist an einen Stuhl gefesselt.«
»Ist sie ...«
»Geh schon!«, sagte er und schob sie weg. »Verlang einen Krankenwagen! Geh!«
Tony lief um das Haus herum. Amanda kauerte sich hinter das Auto und rief mit ihrem Handy die Neun-eins-eins an. Der Diensthabende nahm ihre Angaben auf und sagte, dass Hilfe unterwegs sei. Danach wollte sie ins Auto steigen, hielt aber inne, weil ihr einfiel, dass Tony den Zündschlüssel hatte. Wenn sie sich jetzt ein-schloss, würde sie in der Falle sitzen und hätte keine Fluchtmöglichkeit, falls Cardoni auf sie losging.
Amanda zögerte kurz und folgte dann Tony zum rückwärtigen Teil des Hauses. Sie ging tief geduckt und horchte auf jedes Geräusch. Hinten angekommen, hörte Amanda plötzlich einen Schuss. Sie erstarrte vor Schreck. Ein zweiter, lauterer Schuss folgte. Amanda drückte sich an der Rückwand entlang, bis sie durch ein Fenster in eine große, moderne Küche sehen konnte, Vincent Cardoni
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