Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
angerufen hatte. »Wir sind außerdem einer Idee nachgegangen, die Sean vor vier Jahren hatte, nach Cardonis Verschwinden aber nicht weiter verfolgte. Wussten Sie, dass Cardoni an einem Krankenhaus in Denver gearbeitet hat, bevor er nach Portland kam?«
Amanda nickte.
»Ich habe heute Morgen einen Anruf der Staatspolizei von Colorado bekommen. Vor zwei Jahren wurde dort in einer ländlichen Gegend ungefähr eine Stunde außerhalb von Denver ein Gräberfeld ähnlich wie die unseren gefunden. Die Leichen waren schon eine ganze Weile vergraben. Ein Anwalt, der inzwischen von der Anwaltskammer Colorados ausgeschlossen wurde, hatte das Anwesen, auf dem dann die Leichen gefunden wurden, gekauft. Er war von einem anonymen Käufer brieflich beauftragt und mit Bankschecks bezahlt worden.«
»Cardonis Vorgehensweise.“
Greene nickte.
»Ich habe vielleicht noch zusätzliche Munition, die Sie gegen Cardoni verwenden können«, sagte Amanda. »Sie wissen, dass Bobby Vasquez für mich arbeitet, oder?«
»Sean erwähnte es.«
»Von ihm habe ich eine vorläufige Liste mit Serienmorden, bei denen ähnlich vorgegangen wurde wie bei Cardoni. Ich schicke sie Ihnen für den Fall, dass er etwas herausgefunden hat, was Ihre Ermittler übersehen haben.«
»Toll«, sagte Greene abwesend. »Hören Sie, wegen Bobby ...«
»Wissen Sie schon was Neues über seinen Zustand?«
»Nichts Gutes. Die Ärzte wissen noch immer nicht, ob er durchkommt.«
Amanda ließ die Schultern sinken. »Und was ist mit Cardoni?«
Greene machte ein mürrisches Gesicht. »Dem Mistkerl geht's blendend. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass er bald fit für einen Prozess sein wird, und das heißt, ich kann ihn in die Todeszelle schicken. Ich nehme an, Ihre Sozietät wird ihn diesmal nicht verteidigen.«
Amanda zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf.
»Bin ich jetzt hier fertig? Ich würde sehr gerne nach Hause fahren und ein langes heißes Bad nehmen.«
»Wir brauchen Sie nicht mehr«, sagte Greene und half ihr beim Aufstehen. Dann nahm er ihre Hand und drückte sie herzlich.
»Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen!«, sagte er leise und mit einer Aufrichtigkeit, die sie überraschte. Sie sah den Staatsanwalt fragend an, und er errötete. »Mir macht es viel Spaß, mit Ihnen die Klingen zu kreuzen«, sagte er, »also passen Sie gut auf sich auf!“
59
Obwohl Cardoni im Sicherheitstrakt des St. Francis untergebracht war, hatte Amanda Angst vor dem Alleinsein. Trotzdem lehnte sie Tonys Angebot ab, wieder in sein Haus zu kommen. Sie war noch nie vor etwas davongelaufen, das ihr Angst machte, und sie wollte auch jetzt nicht damit anfangen.
Als sie an diesem Abend allein in ihrer Wohnung war, sah sie sich einen alten Film an, bis ihr die Augen schwer wurden, und ging gegen eins ins Bett. Sie träumte wieder von dem Operationsraum, dem maskierten Chirurgen und dem blutgefüllten Becher. Wieder glitt der Becher dem Chirurgen aus der Hand, wieder spritzte Blut in hohem Bogen durch die Luft. Amanda schrak abermals aus dem Traum hoch, als der Becher zersplitterte. Zum zweiten Mal hatte sie nun schon diesen Traum gehabt, und jedes Mal war sie völlig verstört aufgewacht.
Vor den Büros von Jaffe, Katz, Lehane and Brindisi lauerten keine Reporter, als Amanda um acht Uhr am nächsten Morgen dort ankam. Solange sie sich auf Justine Castle konzentrieren musste, hatte sie die Arbeit an ihren anderen Fällen schleifen lassen. Doch bevor sie sich diesen Fällen wieder zuwenden konnte, musste sie Justines Unterlagen in Ordnung bringen. Bei dieser Arbeit fiel ihr Bobby Vasquez' Liste möglicher vergleichbarer Serienmorde in die Hand. Sie erinnerte sich an ihr Versprechen, diese Mike Greene zu schicken. Als sie die Liste überflog, blieb ihr Blick bei dem Eintrag über Ghost Lake in Oregon hängen. Der Name erinnerte sie an etwas, aber bevor sie darüber nachdenken konnte, wurde sie unterbrochen.
»Hier ist ein Anruf für Sie auf Leitung drei«, sagte die Sekretärin.
»Wer ist es?«
»Er sagt, er sei Vincent Cardoni«, erwiderte die Sekretärin nervös. »Er hat nach Mr. Jaffe gefragt. Als ich ihm sagte, dass er verreist ist, verlangte er ausdrücklich, Sie zu sprechen.«
Amanda zögerte. Es wäre sehr einfach gewesen, die Sekretärin ausrichten zu lassen, dass sie seinen Anruf nicht entgegennehme, aber dann war ihre Neugier doch stärker.
»Warum rufen Sie in unserer Kanzlei an, Dr. Cardoni?«, fragte Amanda,
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