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Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni

Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni

Titel: Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip Margolin
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oder sterben sollte. Wie würden sie entscheiden? Sie würde es bald wissen.
    In den fünf Jahren, die sie nun in der Kanzlei ihres Vaters arbeitete, war das Bezirksgericht Amandas zweite Heimat geworden. Tagsüber spielten sich in diesen Gerichtssälen und Korridoren Dramen ab, große wie kleine, und hin und wieder gab es sogar eine kleine Komödie. Abends, wenn die lärmende Geschäftigkeit sich gelegt hatte, konnte Amanda ihre Absätze über den Marmorboden klappern hören.
    Während Amanda auf Richterin Campbells Gerichtssaal zuging, erinnerte sie sich an die Meute der Reporter, die sich während der Cardoni-Verhandlung, ihrem ersten Fall, bei dem eine Todesstrafe zur Debatte stand, im Bezirksgericht von Milton County gedrängt hatte. Inzwischen waren Verfahren mit einer drohenden Todesstrafe leider so häufig geworden, dass Doolings Fall nur noch den Reporter des Oregonian in den Gang vor dem Saal lockte.
    Es war nicht das erste Mal in den vier Jahren, die seit Vincent Cardonis mysteriösem Verschwinden vergangen waren, dass Amanda an den Chirurgen dachte. Bei diesem Fall hatte sie sich gefragt, ob sie wirklich als Strafrechtsanwältin arbeiten wollte. Zwei Monate lang hatte sie sich danach mit dieser Entscheidung herumgeschlagen. Dann hatte ihre juristische Argumentation dazu beigetragen, eine unberechtigte Anklage wegen Vergewaltigung gegen einen völlig mittellosen Studenten abzuschmettern, der inzwischen mit einem Stipendium ein hervorragendes College besuchte, anstatt wegen eines Verbrechens, das er gar nicht begangen hatte, in einer Zelle zu verrotten. Der Fall dieses Studenten hatte Amanda davon überzeugt, dass sie als Strafverteidigerin viel Gutes tun konnte. Er half ihr auch zu verstehen, dass nicht jeder Angeklagte so war wie der gestörte Chirurg, auch wenn ihr gegenwärtiger Mandant diesem Vorgänger ziemlich nahe kam.
    An der Tür zum Gerichtssaal blieb Amanda stehen und betrachtete Timothy Dooling durch die Glasscheibe. Mit Handschellen gefesselt und bewacht von zwei Bewaffneten saß er am Tisch der Verteidigung. Es schien absurd, dass man sich vor einem gerade mal zwanzigjährigen Hänfling in Acht nehmen musste, der nur knapp siebzig Kilo auf die Waage brachte, aber Amanda wusste, dass die Wachen allen Grund hatten, ihren Mandanten gut im Auge zu behalten. Die schmächtige Gestalt, die welligen blonden Haare und das einnehmende Lächeln konnten Amanda nicht täuschen, so wie sie das junge Mädchen getäuscht hatten, das er ermordet hatte. Sogar zu Zeiten, da sie sich in seiner Gegenwart entspannt fühlte, hatte die Anwesenheit der Gefängniswärter ihr ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit gegeben. Sie liebte zwar die Vorstellung, dass Tim ihr nie etwas antun würde, auch wenn er die Gelegenheit dazu hätte, aber sie wusste, dass das wahrscheinlich nur Wunschdenken war. Die psychiatrischen Gutachten und die Biografie, die Herb Cross zusammengestellt hatte, zeigten sehr deutlich, dass Dooling eine so gestörte Persönlichkeit war, dass es für ihn wohl keine Heilung gab. Von frühester Kindheit an hatte seine Mutter, eine Alkoholikerin, ihn körperlich misshandelt. Kaum den Windeln entwachsen wurde er von einem ihrer Liebhaber vergewaltigt. Dann wurde er ausgesetzt, und es begann eine Wanderschaft von einem Erziehungsheim zum nächsten, wo er weiter sexuelle und andere körperliche Misshandlungen erleiden musste. Das war keine Entschuldigung für die Vergewaltigung und den Mord, aber es erklärte, warum Tim zu einem Monster geworden war. Kein vernünftiger Mensch würde je fordern, ihn anderswo als in einem Hochsicherheitsgefängnis unterzubringen, aber Amanda hatte argumentiert, dass man ihm wenigsten das Leben schenken solle. Es gab gute Argumente gegen diese Position. Mike Greene, der Staatsanwalt, hatte sie alle vorgebracht.
    Dooling drehte sich um, als Amanda den Gerichtssaal betrat, und sah sie mit seinen großen blauen Augen, die um Vertrauen bettelten, erwartungsvoll an.
    »Wie geht's?«, fragte Amanda, als sie ihren Aktenkoffer auf den Boden stellte und Platz nahm.
    »Weiß nicht. Ich glaube, ich habe Angst.«
    Es gab Zeiten, da Amanda, wie jetzt, tatsächlich Mitleid mit Dooling hatte, und andere, da sie ihn sogar mochte. Es war verrückt und etwas, das nur ein Strafverteidiger verstehen konnte. Er war so abhängig von ihr, aller Wahrscheinlichkeit nach war sie Tims einziger Freund. Wie armselig und traurig muss das Leben eines Mannes sein, dachte Amanda, wenn der Anwalt der einzige

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