Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
morgens überquerte Amanda die Grenze des Multnomah County und fuhr, ohne groß nachzudenken, zu Tony Fiori. Das Haus war dunkel, als sie gegen halb fünf in Tonys Auffahrt parkte. Sie ging zur Haustür und drückte auf die Klingel. Nach dem dritten Läuten ging ein Licht an, und sie hörte leise Schritte auf der Treppe. Einen Augenblick später spähte Tony durch den Glaseinsatz in der Haustür. Dann öffnete er die Tür einen Spalt.
»Was willst denn du hier?«, fragte er unwirsch, und sie wusste sofort, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Hinter Tonys Schulter sah sie eine Frau in einem seidenen Morgenmantel die Treppe herunterkommen. Der Mantel öffnete sich und zeigte nackte Beine. Amanda schaute von der Frau zu Tony, dann trat sie von der Tür zurück.
»Tut mir Leid... Ich ... ich wusste ja nicht ...«, stammelte Amanda und drehte sich um.
»Warte!«, sagte Tony. »Was ist denn los?«
Aber Amanda hatte bereits die Autotür geöffnet. Als sie wendete, sah sie, dass Tony ihr nachstarrte. Dann stand die Frau neben ihm unter der Tür, und Amanda erkannte sie jetzt genauer. Während sie in der Berghütte in Milton County Vincent Cardonis abgetrennte Hand gefunden hatte, hatte Tony Fiori die Nacht mit Justine Castle verbracht.
30
Amanda sah ihren Vater, der mit der Einundzwanzig-Uhr-dreißig-Maschine aus Los Angeles kam, bevor er sie in der Menge der Wartenden an der Absperrung entdeckte. Er wirkte aufgeregt und drehte suchend den Kopf hin und her. Amanda trat vor, und Frank umarmte sie. Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich weg.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht's gut, Dad. Ich war nie in Gefahr. Wie war dein Flug?«
»Vergiss den Flug! Kannst du dir vorstellen, welche Sorgen ich mir gemacht habe?«
»Aber warum denn? Ich habe dir doch heute Morgen schon gesagt, dass es mir gut geht.«
Sie bewegten sich in der Schlange auf die Gepäckausgabe zu. Jetzt, da Frank sah, dass Amanda nichts passiert war, verdunkelten sich seine Züge.
»Was hast du dir denn dabei gedacht, Cardoni mitten in der Nacht an diesem Ort zu treffen?«
»Ich habe mir überlegt, was du getan hättest. Ich habe sogar deine 38er mitgenommen.«
»Das meinst du doch nicht ernst, oder? Glaubst du wirklich, Cardoni würde sich vor dich hinstellen und sich von dir erschießen lassen?«
»Nein, Dad, ich dachte, er ist ein Mandant in Schwierigkeiten. Erzähl mir nicht, dass du im Bett geblieben wärst und Vincent gesagt hättest, er soll am Morgen in dein Büro kommen. Er klang verzweifelt. Er sagte, er wisse, wer die Opfer in der Berghütte ermordet hat. Und wie's aussieht, hat er vielleicht sogar die Wahrheit gesagt.“
Amanda hatte Frank am frühen Freitagmorgen in knappen Worten von ihrem Abenteuer in Milton County berichtet. Er hatte sofort nach Hause fliegen wollen, aber sie hatte ihn überredet, zuerst seine Zeugeneinvernahme abzuschließen. Während sie nun auf Franks Gepäck warteten, erzählte sie ihm ausführlich, was in der Berghütte passiert war.
»Und wissen sie schon sicher, dass es Cardonis Hand ist?«, fragte Frank, während er seine Taschen vom Band nahm und in Richtung Parkhaus ging.
Amanda nickte. »Scofield hat mich im Büro angerufen. Die Fingerabdrücke stimmen überein.«
»O Gott«, sagte Frank mit gedämpfter Stimme. »Du musst dich ja zu Tode erschrocken haben.«
»Wenn ich im Pool so schnell schwimmen könnte, wie ich aus dieser Hütte gerannt bin, dann hätte ich olympisches Gold an meiner Wand.«
Das nötigte Frank ein widerwilliges Lächeln ab.
»Was ist mit der Leiche?«, fragte er.
»Sie graben das ganze Grundstück um, aber als Scofield anrief, hatten sie noch nichts gefunden.«
Eine Weile gingen Frank und Amanda schweigend nebeneinander her. Er stellte seine Taschen in den Kofferraum, und Amanda ließ den Motor an. Auf der Rückfahrt in die Stadt erzählte Frank von der Zeugenvernehmung und erkundigte sich nach der Kanzlei. Dann musste er Amanda zweimal nach einem Rechercheauftrag fragen, den er ihr gegeben hatte, bevor er eine Antwort erhielt.
»Gibt es außer dem, was in der Hütte passiert ist, sonst noch was, das dich bedrückt?«
»Was?«
»Ich habe dich gefragt, ob dich außer dem, was mit Cardoni passiert ist, sonst noch etwas beschäftigt.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Amanda vorsichtig.
»Ich bin dein Vater. Ich kenne dich. Willst du mir sagen, was los ist?«
»Nichts.«
»Vergiss nicht, wen du zu beschummeln versuchst. Einige der besten Lügner in diesem
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