Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
einen Heiratsantrag machte. Amanda hatte ihn gebeten, ihr Zeit zum Nachdenken zu geben, war sich dann aber schnell klar, dass sie gar nicht lange hätte überlegen müssen, wenn er der Richtige gewesen wäre.
Amanda hätte mit ihrem Triumph sehr gern ein wenig vor Frank geprahlt, aber ihr Vater war zusammen mit Elsie Davis in Kalifornien, einer Lehrerin, die als Charakterzeugin für einen Studenten fungiert hatte, dessen Verteidiger Frank gewesen war. Während Frank sie befragte, hatte er herausgefunden, dass ihr Mann zwölf Jahren zuvor an Krebs gestorben war und sie seitdem niemanden gefunden hatte, der seinen Platz einnehmen konnte. Aus ihrer vorsichtigen Freundschaft war eine ernsthafte Beziehung geworden, und jetzt machten sie zum ersten Mal gemeinsam Urlaub.
Amanda butterte sich ihren Toast am Küchentisch. Während sie an ihrer Milch nippte, machte sie eine Bestandsaufnahme ihres Lebens. Im Großen und Ganzen war sie glücklich. Ihre Karriere verlief gut, sie hatte Geld auf der Bank, und sie liebte die Wohnung, in der sie lebte, aber manchmal fühlte sie sich einsam. Zwei ihrer Freundinnen hatten im letzten Jahr geheiratet, und allmählich kam sie sich ein wenig isoliert vor. Paare gingen mit Paaren aus. Und bald würde es auch Kinder geben, die sie beschäftigten. Amanda seufzte. Sie fühlte sich zwar nicht unvollständig ohne Mann, es ging eher um Gesellschaft. Einfach jemanden zu haben, mit dem man reden konnte, jemanden, der ihre Siege mit ihr teilte und sie wieder aufrichtete wenn sie strauchelte.
32
Andrew Volkov erfüllte seine hausmeisterlichen Pflichten im St. Francis Medical Center gewissenhaft. Als er an diesem Abend den Boden vor den Büros der chirurgischen Abteilung wischte, bewegte er sich langsam und konzentriert, damit er mit seinem Mopp auch wirklich jeden Zentimeter der Fläche erreichte. Volkov war hochgewachsen, aber seine wahre Größe war schwer einzuschätzen, weil er sich beim Arbeiten gebückt bewegte. Er sagte kaum etwas und schaute den Leuten, die ihn ansprachen, nie in die Augen. Seine Augen waren graugrün, seine Haare kurz geschnitten und blond, und er hatte die breiten Wangenknochen, die dicke Nase und die Grüblerstirn eines Slawen. Volkov zeigte kaum einmal Gefühle, und seine ewig gleichmütige Miene verstärkte noch den Eindruck, dass er eher ein Arbeitstier war als ein Mensch. Wenn man ihm etwas auftrug, gehorchte er sofort. Seine Vorgesetzten hatten sehr schnell gelernt, ihm nur präzise Anweisungen zu geben, weil er nur wenig Fantasie zeigte und Befehle stets wörtlich nahm.
Um zwei Uhr morgens waren die Büros der chirurgischen Abteilung still und verlassen. Volkov schob seinen Karren an die Wand und richtete sich auf. Er lehnte den Mopp an die Wand, sah sich im Korridor um und schlurfte dann zur Tür des nächsten Büros. Er öffnete sie und schaltete das Licht ein. Das Büro war schmal und nicht sehr tief, ein fensterloser Verschlag, eigentlich kaum größer als ein begehbarer Schrank. Ein metallgrauer Schreibtisch nahm fast den gesamten Platz ein. Er war bedeckt mit medizinischen Zeitschriften, Fachbüchern, Briefen und diversem Kleinkram. Volkov hatte die strikte Anweisung, auf den Schreibtischen der Ärzte nie etwas zu berühren, aber er musste die Papierkörbe unter den Tischen leeren.
Volkov holte sich ein Staubtuch aus seinem Karren und wischte über die Bretter eines Bücherregals an der Wand. Danach sah er sich das Stückchen Boden an, das nicht von dem Schreibtisch, dem Bücherregal und den zwei Besucherstühlen bedeckt war. Es war eine so winzige Fläche, dass das Putzen sich kaum rentierte, aber Volkovs Chef hatte ihm befohlen, jede Oberfläche zu reinigen, die sich reinigen ließ, und so schlurfte er wieder nach draußen, leerte den Papierkorb und nahm seinen Staubsauger vom Karren. Er schloss ihn an und fuhr mit ihm kreuz und quer über den Boden. Als er sicher war, dass er alles getan hatte, was er tun konnte, stellte er den Staubsauger wieder auf seinen Karren.
Dann betrat er das Büro noch ein letztes Mal. Er verschloss die Tür und zog ein Paar Latexhandschuhe aus einer Tasche und einen Ziploc-Beutel aus einer anderen. Dann trat er hinter den Schreibtisch und öffnete die unterste Schublade. Der Kaffeebecher war genau dort, wo er ihn in den anderen Nächten gesehen hatte. Volkov steckte den Becher in den Ziploc-Beutel, verließ das Büro und schloss die Tür. Den Becher im Beutel versteckte er zusammen mit den Handschuhen unter einem Stapel
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