Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
beantworten! Woher wussten Sie das mit den anderen Leichen und woher wussten Sie, wo wir den Becher gefunden haben?«
Amanda trank einen Schluck Kaffee und überlegte sich, wie sie die Frage am besten beantworten konnte.
»Wissen Sie etwas über den Fall Cardoni?«
Mike Green machte ein verständnisloses Gesicht.
»Der Kerl in Milton County mit der Hand«, sagte DeVore.
Amanda nickte. »Das war vor ungefähr viereinhalb Jahren, Mike, also noch vor Ihrer Zeit hier. Dr. Vincent Cardoni war Chirurg am St. Francis, und er war mit Justine Castle verheiratet.«
»Stimmt!«, rief DeVore.
»Ein Detective des Portlander Sittendezernats, Bobby Vasquez, erhielt den anonymen Tipp, dass Cardoni in seiner Berghütte in Milton County Kokain verstecke. Da er sich keine anderweitige Bestätigung dieses Tipps beschaffen konnte, drang er in das Haus ein. Raten Sie mal, was er dort fand.«
DeVore richtete sich auf, und Amanda sah, dass er sich immer deutlicher an den Fall erinnerte.
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte der Detective.
»Im Wald in der Nähe des Hauses wurde ein Gräberfeld mit neun Opfern gefunden. Die meisten waren gefoltert worden. Im Keller gab es einen Operationsraum und ein Skalpell mit Cardonis Fingerabdrücken darauf. Auch auf einem Kaffeebecher in der Küche wurden Cardonis Abdrücke gefunden. Ein Video, das zeigte, wie eins der Opfer gequält wurde, fand man in Cardonis Wohnhaus. Kommt Ihnen das nicht langsam bekannt vor?«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Cardoni die Leute im Farmhaus umgebracht hat?«, fragte Greene.
Bevor Amanda antworten konnte, sagte DeVore: »Das konnte er nicht. Cardoni ist tot.«
»Das wissen wir nicht«, sagte Amanda zu dem Detective, bevor sie sich wieder an Greene wandte. »Zumindest nicht sicher.«
»Das geht mir jetzt alles zu schnell«, sagte der Staatsanwalt.
»Mein Vater hat Dr. Cardoni verteidigt. Es gab einen Antrag auf Nichtzulassung von Beweismitteln. Vasquez hatte unter Eid gelogen, um sein illegales Eindringen zu vertuschen, und mein Dad wies ihm den Meineid nach. Die Staatsanwaltschaft verlor sämtliche Beweise der Anklage, und Cardoni wurde aus dem Gefängnis entlassen. Ungefähr eine Woche später rief Cardoni mich nachts zu Hause an und sagte mir, er müsse sich in dem Haus in Milton County mit mir treffen.“
»Jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte DeVore. »Sie haben sie gefunden!«
»Was gefunden?«, fragte Greene.
»Cardonis rechte Hand. Sie lag auf dem Operationstisch. Jemand hatte sie ihm abgeschnitten.«
»Wer?«, fragte Greene.
»Das weiß niemand.«
»Dann ist es also ein ungelöster Mord?«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht«, sagte Amanda. »Cardonis Leiche wurde nie gefunden. Wenn er sich die Hand selbst abgeschnitten hat, war es kein Mord, oder?«
37
Es war beinahe fünf, als Amanda in ihren Loft stolperte. Ihre Augen waren blutunterlaufen, und ihr Kopf fühlte sich an wie mit Watte ausgestopft. Sie wäre jetzt liebend gern unter die Decke geschlüpft, aber es gab zu viel zu tun, und so versuchte sie ihrem Körper vorzugaukeln, sie habe bereits geschlafen, indem sie ihre morgendliche Routine abspulte. Sie glaubte sowieso nicht, schlafen zu können. Ideen für Justines Verteidigung schössen ihr durch den Kopf, und bei dem Gedanken, dass Vincent Cardoni möglicherweise wieder zurück war, bekam sie eine Gänsehaut. Nach zwanzig Minuten Gymnastik und einer eiskalten Dusche zog Amanda eines ihrer schwarzen Gerichtskostüme an und ging zwei Blocks bis zu einem winzigen Cafe, das es bereits seit den Fünfziger Jahren in diesem Viertel gab. Draußen war es noch stockdunkel, und der kalte, beißende Wind half ihr wach zu bleiben. Wie auch die Pfannkuchen, die sie in einer der roten Kunstledersitznischen des Cafes zum Frühstück verputzte. Als Schwimmerin hatte Amanda sich am Abend vor einem Wettkampf immer mit Kohlenhydraten vollgestopft. Schwimmen und die Arbeit an einem Fall hatten viel gemeinsam. Man nahm so viel Energie auf, wie man konnte, dann tauchte man ein und kämpfte sich durch. Während des Frühstücks wollte ihr Cardoni nicht mehr aus dem Kopf gehen. Was, wenn er wirklich noch am Leben war? Was, wenn er irgendwo im Dunkeln lauerte und wieder tötete? Der Gedanke entsetzte sie, aber er hatte auch eine gewisse Faszination. Wenn Cardoni von den Toten auferstanden war - wenn Justine eine unschuldige, zu Unrecht angeklagte Frau war -, dann würde dieser Fall ihr zu Ansehen verhelfen und sie aus dem Schatten ihres Vaters
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