Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
so schlecht, dass Amanda sich glücklich schätzte, als sie die Lücke in dem Zaun entdeckte, der das Farmgelände umgab. Kaum war sie in die Zufahrt eingebogen, platschten die Reifen durch Pfützen und Schlaglöcher. Ihr Fernlicht stach in die Dunkelheit und beleuchtete Bäume und Gebüsch, bevor es das gelbe polizeiliche Absperrband erfasste, das sich vor der Tür des Farmhauses spannte.
Amanda schaltete den Motor ab, blieb dann im Auto sitzen und lauschte dem Regen. Sie hatte sich eingebildet, sie könne feststellen, ob Cardoni beide Schreckenskammern eingerichtet hatte, einfach indem sie durch das Farmhaus ging. Jetzt, da sie hier war, kam ihr diese Idee lächerlich vor. Amanda schaltete das Innenlicht an und betrachtete noch einmal die Fotos, die Mike Greene ihr gegeben hatte. Eins zeigte das Gräberfeld in Milton County, umgeben von Bäumen und weit entfernt von dem Grundstück selbst: eine Stelle, die kaum durch Zufall zu finden war. Sie nahm sich das nächste Bild vor. Drei Leichen, die alle Folterspuren aufwiesen, lagen auf einem Tuch auf dem Boden. Man hatte eine Plane über sie gespannt, um sie wenigsten einigermaßen trocken zu halten. Die Nahaufnahme eines weiblichen Opfers zeigte deutliche Spuren des Missbrauchs, den diese zerbrechliche Person in den Tagen vor ihrem Tod hatte erleiden müssen.
Ein zweiter Satz Fotos zeigte das Innere des Farmhauses, vor dem sie parkte. Amanda überblätterte die Nahaufnahmen der Leiche im Keller. Ein kurzer Blick darauf hatte ihr schon genügt, als sie die Fotos erhielt. Während sie die anderen Bilder betrachtete, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie bloß Zeit schindete. Sie nahm ihre Taschenlampe und lief durch den Regen zum Vordach über der Haustür. Dann riss sie das leuchtend gelbe Band weg und ging hinein.
Sie ließ den Strahl ihrer Taschenlampe durch Diele und Wohnzimmer wandern. Beides war so kahl und spärlich möbliert wie das Haus in Milton County. Sie ging zum Schlafzimmer. Die Polizei hatte die Möbel hier gelassen, nachdem sie sie auf Fingerabdrücke und andere Spuren abgesucht hatte, die Bücher und das Tagebuch allerdings aus dem Bücherregal mitgenommen. Amanda versuchte sich vorzustellen, wie der Mörder in dem Lehnsessel saß und als Vorbereitung auf seine nächste Folterstunde die Handbücher durchblätterte. Was musste das für ein Monster sein, das kaltblütig die rituelle Demütigung eines anderen menschlichen Wesens plante?
Sie ging ins Wohnzimmer zurück und von dort in die Küche. Draußen brauste der Wind, rüttelte an den Läden und pfiff übers Dach. Amanda spürte ein Flattern im Magen, als sie den Knauf der Kellertür drehte und in die Dunkelheit hinunter starrte. Sie bediente den Lichtschalter, und eine nackte Birne erhellte den unteren Teil der Kellertreppe. Ein ölbetriebener Heizkessel stand in einer Ecke. In einer anderen zeigte ihr eine rechteckige Stelle am Boden, die sauberer war als die Umgebung, wo die Matratze gelegen hatte, bevor die Spurensicherung sie entfernt hatte. Sie sah Löcher in der Wand, wo die Ketten der Handschellen befestigt gewesen waren; auch die waren ins Forensiklabor geschafft worden. Dann galt ihr Interesse der grob verputzten Mauer, die den Keller unterteilte.
Die Mauer sah aus, als habe sie ein Heimwerker mit Hilfe eines Handbuchs hochgezogen. Amanda stieg die Treppe hinunter und spähte durch die Öffnung in den dunklen hinteren Raum, in den das Licht der Vierzig-Watt-Birne nicht mehr reichte. Amanda schaltete ihre Taschenlampe ein und leuchtete durch die Öffnung. Der Operationstisch war noch da. Darüber hing eine zweite Glühbirne. Amanda zog an der daran befestigten Schnur, und das Licht erhellte einen bis auf den Operationstisch völlig leeren Raum. Alles andere war ins Forensiklabor geschafft worden. Plötzlich blitzte ein Bild von Mary Sandowskis tränenüberströmtem Gesicht vor ihr auf, und Übelkeit überkam sie. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Sie konnte es zwar nicht beweisen, aber eins stand außer Frage: Die Person, die aus der Berghütte einen Ort des Grauens gemacht hatte, war auch hier am Werk gewesen.
Amanda ging um den Tisch herum. Fingerabdruckspulver färbte die Stahlbeine dunkel. Sie kniete sich hin und sah einen dunkelbraunen Fleck. War das Blut? Sie starrte den Fleck einen Augenblick an und stand dann auf.
Ein Mann stand in der Tür.
40
Der Mann trat aus dem Schatten und versperrte Amanda den Weg nach draußen. Er trug einen regennassen Trenchcoat.
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