Amarilis (German Edition)
strich sich
durch das kurze Haar. Steff hatte wirklich lange geschlafen. Erst allmählich erholte
er sich von der anstrengenden Reise. Sie hatte an seinen Kräften und auch
Nerven gezerrt. Wer hatte zuvor schon ahnen können, in welche Verwicklungen er
geraten sollte. Einmal die nächtelangen Forschungen und dazwischen immer wieder
die Gespräche mit Shan-Ucci und den anderen des Rates. Eine aufreibende
Angelegenheit.
Er rieb sich die Augen. Vorgestern waren sie gelandet. Doch
die Ankunft auf der Erde hatte ihm zunächst keine Entspannung gebracht. Zahllose
Pressegespräche und danach die Berichte an die einzelnen Ressorts der Politik,
Industrie und natürlich der santoganischen Delegation in Berlin.
Die Ansicht der historischen Erde war dabei oftmals jedoch
nicht der Mittelpunkt des Interesses der ständig auf sie einstürzenden Fragen.
Davon hatten sowohl Zeitungen als auch Politiker bereits exklusiv genug
berichtet. Selbst die Industrie hatte längst ihre Techniker entsandt, um aus
den Analysen der damaligen Erdgeschichte Erkenntnisse für eigene Fortentwicklungen
zu ziehen.
Im allgemeinen Interesse stand vielmehr der Fundort dieser
merkwürdige Pflanze, die damals Positronen produzieren konnte, und der heute
von den Santoganern auf das eifrigste nachgespürt wurde. Einige Gerüchte rankten
sich um ihre äußere Erscheinung, und so manche Vermutung nährte ihren Mythos.
Welche Kraft mochte sie besitzen, um den Santoganern ihre
Evolution zu erhalten? Was mochte sie demnach erst für die Menschen bedeuten?
Selbst auf die Gefahr hin, dass ihre Nähe sich nicht als harmlos erwies, hätte
so manch einer sein Leben riskiert, nur um sie einmal betrachten oder gar ein
Stück von ihr erheischen zu können.
Deshalb war die häufigste Frage, die gestellt wurde, die nach
ihrem Standort. Wo nur konnte dieses wundersame Gewächs untergetaucht sein?
Doch darauf durfte keiner der Wissenschaftler, die dem Raumschiff entstiegen,
eine Antwort geben. Ein Massenauflauf wäre sonst umgehend erfolgt und hätte die
Fundstelle unweigerlich überflutet oder gar zerstört. Zumindest wären ihre
eigenen Arbeiten, das Eruieren der Eingänge, das Auskundschaften der
Geosynklinalen und überhaupt sämtliche archäologische Aushebungen erheblich
beeinträchtigt worden.
‚Die kriegen noch schnell genug mit, wo sich was tut’, dachte
Steff. ‚Wir werden in jedem Fall mit etlichen Behinderungen rechnen müssen.’
Leicht strich er mit dem Finger über Meikas Bauch, die sich wieder zu ihm
hingelegt hatte. Dann legte er die Hand über ihr schambedeckendes Haar, so dass
er die feinen, lockigen Spitzen an der Innenfläche spürte. ‚Zum Teufel mit der
Pflanze’, dachte er, ‚heute will ich meine Ruhe haben.’
In der Tat war ihm bislang kaum Zeit verblieben, sich um
seine privaten Angelegenheiten zu kümmern. Einfach nur vorm Fernseher zu sitzen
oder in der Sonne zu liegen. Oder mit Meika endlich zusammen sein zu können.
Sie fühlen, mit ihr reden, nur in ihrer Nähe sein.
Er hatte diese Augenblicke in der Hektik der ersten beiden
Tage sehr vermisst. Zum Schluss fehlte ihm einfach die nötige Konzentration, um
bei den ständigen Konferenzen immer auf der Höhe zu sein. Da er der leitende
Paläontologe auf der Reise war, musste er am meisten reden, erklären, vortragen
und dokumentieren.
Sie hatten zahlreiches Material von Santoga mitgebracht. Aufnahmen,
Interferenzfotos, Aufzeichnungen der Rotverschiebung, der thermischen
Farbmessung, der Oszillation kurzer Aufprallblitze und der elektrischen Analyse
fester Stoffe und des Luftgemisches verschiedener Schichten der Atmosphäre.
Hinzu kamen Unmengen von Filmaufnahmen des kontinentalen Drifts und Messungen
unterirdischer Konvexionsströmungen, deren Erläuterungen John übernahm.
Steff konnte sich überhaupt auf seine Kollegen verlassen. So
gab Sam Wilckens einen detaillierten Überblick über die Messungen, die er mithilfe
des dortigen Computers ausgeführt hatte. Und Kip erklärte das Aufkommen der
Positronen, ihre Erscheinungsform in der Stratosphäre und ihre Rückführung zum
Standort der Pflanze.
Nicht zuletzt meldete sich Professor Erskin zu Wort, der die
beschriebenen Eigenschaften der Pflanze, die Umstände ihres Auffindens und die
Bedingungen ihrer Umgebung zu einer Hypothese formte, in der der Meteorit, der
den Staubgürtel schuf, und dessen Plasma die Entwicklung der Positronen initiierte,
eine zentrale Rolle
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