Amarilis (German Edition)
andeuten und mal sehen, ob er ehrlich darauf eingeht oder versucht,
auszuweichen und abzuwiegeln. Das ist vielleicht sogar eine der wenigen
Gelegenheiten, etwas über ihre Art, über ihren Charakter und ihre Ehrlichkeit
in Erfahrung zu bringen.«
Meika schien nicht ganz davon überzeugt. Ihre Stirn schob sich
in Falten, und ihre Lippen verzogen sich nach unten. Leicht berührte er ihre
Wange. »Du, vertrau uns doch. Vielleicht sind sie gar nicht so gefährlich und mysteriös,
wie es scheint. Vielleicht ist auch das ganze Gerede über ihre Frauenverachtung
nur ein einziger Quatsch.« Er hielt inne, weil er fühlte, wie sich ihre Haut
spannte.
Damit hatte er einen wunden Punkt angeschnitten. Einen
Streitpunkt, der schon lange zwischen ihnen gärte, und den sie fortwährend zum Anlass
nahm, ihn zu einem Startverzicht zu bewegen.
»Vielleicht handelst du dann gleich aus, dass wir ihre
Gebäude auch ohne ausdrückliche Erlaubnis betreten dürfen, dass wir Frauen an
ihrem wissenschaftlichen Rat teilnehmen und endlich auch zu ihrem Planeten
fliegen können, wo es ja so viel wundersame Dinge geben soll, dass es uns untersagt
ist, darüber auf der Erde zu berichten.«
In der Tat waren die Frauen für die Santoganer nicht
gleichberechtigt beziehungsweise nur als zweitrangig eingestuft. Aber an diesem
Umstand, versuchte Steff ihr immer wieder klar zu machen, traf die Exterraner
die geringste Schuld. Vielmehr lag es an der für sie undurchsichtigen und mehrdeutigen
menschlichen Zivilisation, deren Eigenarten der Auslegung ihrer eigenen
Wesensart in keinster Weise zu entsprechen schien.
Nach den Gesetzen der Menschen waren die Frauen alle
gleichberechtigt, unabhängig und frei. Doch nicht einmal die Entwicklung der
letzten 100 Jahre hatte erreicht, sie gegen eine Hierarchisierung der
Strukturen und einem männlichen Bevormundungsdünkel zu feihen. Gesetzesforderungen
klafften mit der Wirklichkeit der Arbeits-, Familien- und Freizeitbedingungen
weit auseinander. Noch heute konnte die Frau schwerlich einem Beruf nachgehen,
wenn es ihre privaten und familiären Verhältnisse nicht zuließen. Und noch
heute hatte sie sich den sozialen Anforderungen des Systems unterzuordnen.
Mitbestimmung in privaten, öffentlich-rechtlichen oder gar wissenschaftlichen Bereichen
wurde etwas genannt, dass eher wie kollegiale Gutmütigkeit mutete. Was
Voraussetzung sein sollte, wirkte wie ein Entgegenkommen. Die Santoganer, die
begierig waren, die Menschen kennenzulernen, sogen jede Kleinigkeit in sich ein
- und begriffen sie auf ihre Weise. So blieb ihnen auch nicht das
selbstgefällige Gebahren der Männer verborgen, ihr Sitzen mit gespreiztem Bein.
Durch die Vielzahl diverser Erscheinungsformen und Verhaltenskomplexen als
Spiegelbild der irdischen Gesellschaft gelangten sie dann zu der Ansicht, dass
ein weitestgehender Unterschied zwischen Mann und Frau anzunehmen und Grund für
die Hierarchisierung war.
»Du, versuch dich doch auch mal in sie hineinzuversetzen«,
sagte Steff. »Sie kennen ja keine Zweigeschlechtlichkeit und auch nicht die Geburt.
Somit entspricht der Mann vielleicht mehr ihren Vorstellungen einer Kreatur.«
Meika wollte sich nicht mit ihm streiten. Leise erwiderte
sie: »Ok, aber es muss sich endlich was tun! Du bist eher Wissenschaftler als
Politiker. Aber du kennst unsere Forderungen. Es bedarf mehr als nur ein paar
Änderungen. Eine soziale Revolution! Und dazu: Wahlentzug ab 70!«
Ihre Augen blitzten ihn an. Er wusste zwar, dass sie nicht zu
den militanten Frauen gehörte, aber dass sie mittlerweile deren provokante
Aktionen gegen Staat und Santoganer durchaus befürwortete. Angefangen von kleineren
Überfällen des Nachts auf Männer, denen sie die Hosen runterzogen und mit einer
schnell härtenden Kunststoffnaht zwischen den Beinen zusammenschweißten und
Demonstrationen mit Spruchbänden wie 'hau weg den Santoganer' oder gar 'Eier
nur hat jeder Mann, damit Frau in sie treten kann', führten die Aktionen auch
zu offener Gewalt, in denen Sprengstoff vor den Gebäuden der Exterraner zur
Explosion gebracht wurde. Ihm war klar, dass auch Meika bald ihre Zurückhaltung
aufgeben und auf die Straße gehen würde. Während sie redete, sah er ihre
Verletztheit und erkannte ihre zunehmende Protestbereitschaft.
Mit wütenden Gesten begleitete sie ihre Ausführungen. In der
einen Hand hielt sie dabei ständig die Kaffeetasse, die aufgrund ihrer
Erregtheit nur noch wenig Kaffee enthielt. Sie
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