Amarilis (German Edition)
hatten.
Der Fußboden der mächtigen Halle setzte sich aus einer Art
blanken Marmors zusammen, der in sich kristallisierte Schmelze bergen musste,
die bei Veränderung des Standortes eines Beobachters selbst ihre Reflexionswinkel
veränderte. So entsprang ihr gleichwie eine Bewegung, als ob jemand selbst über
das gleißende Gefließ ginge.
Die bunt durcheinander wirbelnden Staubpartikel des Sonnenlichtes
und die kristalloiden Erzkörner des Bodens schufen nun eine derart flimmernde
Pracht und Bewegung des Lichts, dass sie einen Eintretenden schier zu blenden
schienen. Doch die überwältigenden Eindrücke dieses verwirrenden Spiels konnten
nicht von der zentralen Einrichtung der Halle ablenken. Gleichsam wie als
Gegensatz gedacht, floss das rote Rinnsal bedächtig die Säulen herunter und
sammelte sich in dem sich bereithaltenden Becken. Nichts konnte diesen Ablauf
stören, und selbst das eindringende Sonnenlicht schien an dieser Stelle seine
Kraft erschöpft zu haben.
Obschon die Flüssigkeit keineswegs den Eindruck erweckte, dass
sie sich dem Spiel der Sonne verwahrte. Sie schien es eher zu vereinnahmen in
einer Art, die deren Strahlen über ihre Oberfläche streichen ließ, um sich
selbst an ihnen zu erwärmen. Denn bisweilen glomm aus dem Becken die Spiegelung
des Lichtes wie in der konzentrierten Stärke eines geflochtenen Bündels.
In der Öffnung zwischen den seitlichen Säulen erschien nun
eine Gestalt, die einwenig unpassend in dieser Halle wirkte, sich aber bewegte,
als kenne sie sie gut. Ihr um den Körper geschlungenes Gewand hing in riesigen
Fetzen herunter und verhüllte nur wenige ihrer Glieder. So fiel auf, dass ihr
ein Arm vollkommen fehlte, und sie sich ausschließlich mit dem anderen behalf.
Um ihre drei Hälse wehte eine Art grauer Schal, dessen Enden in langen Schnüren
ausfaserten.
Langsam, unter einer scheinbar gewaltigen Kraftanstrengung,
drehte sich der Siechende herum und schaute zurück. Sogleich folgte ihm eine Reihe
weiterer, die ebenso ärmlich gekleidet waren, und denen auch ein Arm, ein Bein
oder gar etwas anderes fehlte. Manche hatten schwärende Beulen an den Körperseiten,
die sogar ihre Köpfe und Hälse überzogen. Sie waren Missbildungen, Mutationen,
denen nur noch wenig Gemeinsames mit den anderen Santoganern zu sein schien.
Zu guter Letzt humpelte ein alter Krüppel in die Halle, dem
es gar an allen Beinen mangelte, und der sich nur noch mit einer Art Krücke
eher kriechend vorwärtsbewegen konnte. Seine Miene aber sah furchterregend aus
und glich der eines Beute spähenden Habichts, dessen Augen wie flirr ohne Ruhe
waren.
Dieses Häuflein trauriger Gestalten begab sich nun stumm zum
Becken hin, das sich vor ihnen wie ein hoffnungsspendender Jungbrunnen erhob.
Eilig beugten sie sich über den Rand der steinernen Balustrade, um sogleich
gierig die rosa Flüssigkeit in sich zu saugen. Manche besaßen auch eine kleine
Schale, die sie füllten, und aus der sie tranken. Doch die meisten von ihnen
schöpften mit der hohlen Fläche ihrer Sechsfingrigkeit aus dem Becken und
setzten ihre Münder dabei nur zu hastig an die oft zittrigen Handteller.
Alsbald begannen einige, sich der spärlichen Umhänge zu
entledigen, worauf ihre matte, kaum noch glänzende Epidermis fahl und grau in
den entblößenden Sonnenstrahlen lag. Dann bediente einer von ihnen einen
verborgenen Schalter, so dass die Flüssigkeit plötzlich in heftigen Schüben
über den oberen Rand der schmalen Säule zu schießen begann. Mit einem
gemeinsamen Aufschrei warfen sie sich unter den breiten Strahl des Brunnens und
ließen sich von dem brodelnden Nass den Körper begießen.
Für eine kleine Weile schienen sie zu vergessen, wer sie
waren, und was sie hierher verschlagen hatte. Einige legten sich sogar auf die
zähe Spannung der rosanern Fläche und ließen sich von ihr Treiben. Wieder andere
begannen, mit dem Kopf voran in die durch das Geplantsche entstandenen Wellen
zu tauchen, wobei es sich zeigte, dass sie weder des Schwimmens kundig waren
noch sich davon einen Begriff machen konnten. So beließen sie es dabei, für wenige
Augenblicke in das zähe Nass einzutauchen, um sich alsdann wieder an seine
Oberfläche tragen zu lassen.
Doch wiederum währte es nicht lange, dann brachen sie
unvermittelt ihr sorgloses Treiben ab und zogen sich an. Schnell verließen sie
die Halle, ohne die herrlichen Farbspiele der Sonnenstrahlen oder die
Zeichnungen der Kuppel einen
Weitere Kostenlose Bücher