Amarilis (German Edition)
untergegangen und hüllte mit ihren
letzten Strahlen den Fels der Hochebene in einen hellgelben Schein. Langsam
strichen ihre goldenen Finger über das Plateau hinweg, und von hinten, aus dem
Tal heraus, begann die Dunkelheit den Stein emporzukriechen.
So war es kaum wahrnehmbar, wie sich am Horizont schwarze
Wolken zusammenbrauten. Mit einem Male ertönte ein mächtiger Donner, und alle
Tiere und Lebewesen zuckten erschrocken zusammen. Doch das Habichtsgesicht des
Alten blieb unbeeindruckt.
Schon wieder erschallte ein gewaltiger Schlag, dem ein
greller Blitz folgte, der durch die Dunkelheit der Berge schnitt. Für einen
kurzen Moment erleuchtete er das Firmament, gesellte sich zu der Lohe des
Feuers und war dann verschwunden in einer Stille, die selbst das Blätterrauschen
verschluckte. Der Wind hatte sich gelegt. Die Vögel verstummten, als sich eine
plötzliche Wärme über das Land legte.
Dann war wieder etwas zu hören. Klack, klack... Die Stille
wurde unterbrochen von regelmäßigem Tropfen. Die Vögel begannen erneut zu
singen, und die Tiere lösten sich aus ihrer Starre und fingen an, sich einen
Unterschlupf zu suchen. In langen, geraden Strichen fiel der Regen nun auf die
Erde herab. Auf dem Boden niedergegangen, sprang er noch einmal hoch und
zerplatzte dann in tausend kleine Tröpfchen. Unaufhörlich übergoss er das Land,
und der Wald begann wieder zu atmen.
Aber noch lange in die regennasse Dunkelheit hinein loderte
die Flamme, die sich aus der Schale nährte. Die Santoganer hatten sich derweil
in ihre Hütten zurückgezogen und ihre feuchten Gewänder abgestreift. Verstreut
lagen sie auf dem trockenen Boden ihrer Zelte und starrten schweigsam zu den
Sternen - da, wo die Sonne herkam, und wo auch sie selbst einmal ihren Ursprung
gefunden hatten.
Traurig schaute Steff durch die Silikatfaserscheiben des
geschlossenen Fensters. Vor ihm ergoss sich ein mächtiger Regenschauer über das
Land. Die Bäume fingen die Tropfen auf und sammelten sie in ihren Blätterröhren
und Wurzeln. Die Nacht war hereingebrochen und hatte die Gegend in eine gespenstische
Dunkelheit getaucht. Nur das fluoreszieren der Leuchtkäfer und der gezackten
Ränder eines Busches, der in der Nähe seines Hauses wuchs, glomm wie kleine
Kerzenlichter über dem Erdboden. Durch den Flug der Insekten und die durch den
Wind verursachten Bewegungen der Blätter entstand bisweilen der Eindruck, als
führten Geister einen geheimnisvollen Tanz auf.
Bei allem aber herrschte außer dem dumpfen Aufprall der Tropfen
eine vollkommene Stille, die dann umso wirkungsvoller vom keifenden Knall eines
Blitzes zerrissen wurde. Dabei erhellte sich die gesamte Umgebung, und Steff
konnte mit einem Mal und für Sekunden die Baumgruppe des Parks, die Blumen und
sogar die entfernten Berge erkennen, bevor sie wieder in Dunkelheit
zurückfielen.
Verzweifelt dachte er an den Koffer. Er beschimpfte sich
selbst, dass er nicht besser aufgepasst hatte. Weshalb hatte er ihn auch
lediglich im Schrank aufbewahrt und nicht sogleich an einem sicheren Ort
verschlossen? Nun konnte eine Katastrophe geschehen. Durch seine Schuld!
Was hatte Sokuk ihm wohl sagen wollen? Vielleicht war es
nicht nur für die Santoganer von Bedeutung, sondern auch für die Menschen. Ihr
Schicksal schien sich immer enger zu verknüpfen. Deshalb war es am wichtigsten,
zu allererst den Koffer zu finden. Er musste ihn - koste es, was es wolle -
wiederhaben.
Klack, klack, klack machte es jetzt. Steff schaute
unwillkürlich zum Fenster, bevor er begriff und zur Tür ging. Als er sie
öffnete, stand Mata-Hele, den er bereits vom Flug her kannte, vor ihm.
»Darf ich für einen Augenblick hereinkommen?« fragte dieser,
und auf Steffs einladende Geste hin betrat er das Zimmer.
Er war von ungefähr 1,65 Meter großer Gestalt und trug um seinen
für santoganische Maßstäbe langen, schlanken Körper ein Tuch aus Stoff, das
Steff als ein ländliches Material aus baumwollähnlichem Gewebe kennengelernt
hatte. An den Seiten hing es locker herunter und war erst zwischen den Beinen
von einer ledernen Schlaufe zusammengehalten.
Er begrüßte Steff auf das freundlichste und erkundigte sich
nach dessen Wohlergehen.
Steff antwortete ihm, das ihn die so früh und schnell hereinbrechende
Nacht einwenig irritierte, aber Mata-Hele bemerkte, dass es noch etwas anderes
war, was ihn beunruhigte.
»Haben sie sich schon bei uns umgesehen?
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