Amarilis (German Edition)
zu suchen haben!«
Erschöpft lehnte er sich zurück. In die für mehrere Sekunden
einsetzende Stille brach ein Ausruf plötzlich ein: »Unser Schicksal auf Santoga
ist verflucht! Wir regenerieren und stagnieren. Die Kranken siechen dahin und
können nicht sterben, und die Gesunden versuchen alles, um das Leben zu
verlängern.«
Und ein anderer fuhr fort: »Dieser Planet hat keine
Positronen, deshalb kann er nicht der unsere sein. Wir müssen wieder fort, zu
den Ursprüngen unserer Geburt zurück!«
Nun erbebte der Saal in grenzenlosem Taumel. Die ansonsten
sehr ruhigen und ernsthaften Santoganer schrien miteinander, und jeder versuchte,
den anderen zu übertönen. Doch nur mit dem Erfolg, dass es ihm alle gleich
taten, und keiner darauf mehr den anderen zu verstehen vermochte.
Shan-Ucci nahm den Frequenzverstärker Zuhilfe und stellte ihn
auf alle Balkone ein. Mit einem durchdringenden Pfeifton erreichte er, dass die
Ratsmitglieder verwundert aufschauten und fragend verstummten.
»Hohe Räte«, begann er sogleich, bevor sie sich wieder
besinnen konnten, »was wollen wir denn? Laßt uns darüber reden, was jetzt zu
tun ist. Sollen wir aktiv bleiben, aber damit einer menschlichen
Individualität, deren korrupte Tendenzen wir heute erneut offenbart bekamen,
entgegengehen? Sollen wir uns gegen das bislang geltenden Gesetzt stellen, um
die Stagnation unserer Rasse zu überwinden? Sollen wir etwas aufgeben, damit
wir uns nicht vollkommen verlieren?« Grimmig schaute er über die Balkone
hinweg. »Oder sollen wir wieder passiv sein, unser Schicksal tatenlos erdulden,
bis uns eine Krankheit befällt, von der uns nicht einmal der Tod erlösen kann?«
Erneutes Geschrei erhob sich. Deshalb ließ Moren-El-Darte
nochmals den schrillen Dauerton erklingen, bevor er zum ersten Mal seine Stimme
erhob. »Nicht weil wir krank sind, stagnieren wir, und auch nicht, weil wir eine
aussterbende Rasse sind. Wir verharren, weil wir uns in einer fremden Welt
befinden, die uns zwar aufgenommen hat, aber uns eines nicht ersetzen kann: Die
Positronen des Plasmas, das uns irgendwo in der Unendlichkeit des Weltalls auf
einem Stern gebar, der die Quelle unseres Lebens wurde. Nun macht sich das
Fehlen des Plasmas bemerkbar, und wir müssen wieder auf die Suche gehen, wie es
unsere Vorväter schon einmal getan hatten. Dazu flehen wir die Sonne an, denn
in der alten Tradition der Sommersonnenwende liegt das Geheimnis unserer Rasse
verborgen!«
Unendliche Stille herrschte nach diesen Worten. Einjeder wusste,
dass Moren-El-Darte Recht gesprochen hatte. Wer von ihnen war nicht selbst
voller geheimer Gedanken über die Bedeutung ihrer Art und der Sonne auf
Santoga.
So sprach der Alte des Rates ihnen aus dem Herzen, als er
erneut das Wort ergriff: »Wo auch immer unser Ursprung war, wo auch immer wir
eine Welt hatten, die uns erschuf und nährte, so wird auch nur sie die Gründe
kennen, die sie uns vor langer Zeit auf diesem Planeten absetzen ließ.« Und in
der beinahe weihevollen Stille des riesigen Saales hallten seine letzten Sätze:
»Wir haben uns einem fremden Planeten aufgedrängt, schließlich haben wir ihn
erobert. Wir können nur hoffen, dass uns die Sonne dar ob des Plasmas gnädig
bleibt und uns auch weiterhin ihre heilenden Strahlen und den Regen schickt.«
Seit zehn Tagen arbeiteten sie jetzt in der kleinen Kanzel der
Beobachtungsstation. Die Papierberge wuchsen an, und außer Mata-Hele und manchmal
auch Radan-El-Dor kannte sich bald keiner von den Santoganern mehr im Kämmerchen
aus. Fast ohne Unterbrechung waren die Menschen am riesigen Teleskop mit seinen
vielfältigen Bedienungseinrichtungen beschäftigt. Wenn einer schlief, hatte ein
anderer Dienst. Es war zu eng, als dass alle auf einmal dort Platz gefunden
hätten.
Sam Wilckens, der Mathematiker, verfolgte aus der Fülle von
Einzeldaten den Verlauf der Positronen, um dann aufgrund von weiteren Berechnungen
ihren Standort feststellen zu können.
Dazu bedurfte er der Windgeschwindigkeit und -richtung der
Wolkenströmungen der Troposphäre, ihres Luftgemisches und des regionalen Regenaufkommens.
Der bis zu einer Höhe von 50 Kilometer reichende Gasschleier der Stratosphäre,
bestehend aus Kohlendioxyd, Ozon, Methan und Stickstoffoxyd, musste anteilmäßig
genau errechnet werden, dazu der jeweilige Hitzegrad der langwelligen
Wärmereflexionen, die zunächst, bevor sie von der folgenden Abkühlung abgelöst
wurden,
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