Amarilis (German Edition)
Mondnächte
erst erlangen? Was für Auswirkungen vermochte eine Veränderung des
Tag/Nacht-Verhältnis haben?’ Hastig kritzelte er auf ein Blatt Papier einige
Zahlen. Nach Berechnung der Werte auf Europa ergab die dortige Schrägstellung
der Achse eine Verkürzung des Tages um eine halbe bis eine Stunde. ‚Was mochte
dieser Umstand für die Saurier bedeuten? Somnambulismus...’ Er konnte es sich
nicht erklären. ‚Oder gar für die Pflanze? Die längeren Nächte haben ihr
vielleicht zusätzlich zu einer Gewöhnung an ein Leben in Dunkelheit verholfen.’
Steff setzte sich und sah John an. »Kannst du dir vorstellen,
dass die Anziehung des Mondes eine Veränderung der Fotosynthese bei Pflanzen
oder weiter noch: eine Veränderung des Bewusstseins von Lebewesen bewirken
kann?«
John vergrub die Hände in den Hosentaschen und schüttelte
seine rotblonde Mähne mit einem Ruck aus der Stirn. »Veränderung von Pflanzen?
Bislang ist mir so was noch nicht zu Ohren gekommen. Pass auf, dass du dich da
nicht verrennst, Steff.« Mit einem Finger strich er sich über den dichten
Schnurrbart. »Aber dass zum Beispiel die Gravitation eine unveränderliche Größe
ist, gilt ja auch schon als überholt. Seit Anfang dieses Jahrhunderts wissen
wir, dass die Dichte der Massen sich sehr wohl auf eine unterschiedliche
Geschwindigkeit zweier gleichschwerer Teile auswirkt. Neue gravitative Kräfte
sind auch in der Wechselwirkung der Antikörper gefunden worden, die bekanntlich
schneller als die entsprechende Materie fallen.« Er schüttelte leicht den Kopf.
»Zum anderen aber, du weißt, Steff, das der Mond auch auf uns einen Einfluss
haben kann. Vielleicht mehr, als wir ahnen. Aber wer kennt sich da schon aus.«
Resigniert breitete er die Arme aus.
»Zumindest können wir hier einen Anhaltspunkt haben.« Er
sprach das Wort jetzt aus. »Somnambulismus. Sehen ohne Augen. Eine Spezies, die
untertage leben kann.« Steff spielte mit den vollbeschriebenen Blättern, dann
schüttelte er ungeduldig den Kopf. »Wie auch immer... Im Augenblick sollten wir
uns die Gebiete vornehmen, in denen die durch den Drift hervorgerufene
Konstellation der Landmassen so günstig ist, dass sie auf die Mondgravitation
eine bestimmte Wechselbeziehung erhält. Ich meine vor allem die Sumpfzonen
Europas, die durch ihre Meeresnähe und durch ihre extreme Flachheit einem
stärkeren Gezeitenstrom unterliegen. Gerade hier haben sich zahlreiche
Geosynklinalen gebildet. Denken wir nur mal an die fossilen Funde in England
und Frankreich, aber auch Belgien. An diesen Stellen haben sich doch auch
besonders viele Saurier befunden.«
»Da hast du recht«, pflichtete ihm John bei. »Auch in Dänemark
und Schonen gab es solche Becken. Ich werde gleichmal daran gehen, mir unter
diesem Aspekt Gebiete anzusehen, die mittels der Thermoanalyse einen regional
stärkeren Tidenhub aufweisen.« Er schaute auf die Uhr, die nach wie vor die
Einteilung der Erdtage anzeigte. Im Weltraum gab es keine Sonnenaufgänge. »Kip
muss jetzt auch soweit sein, dann kann er mir gleich dabei helfen.«
Kaum hatte er sich umgedreht, war er schon wieder in seiner
Arbeit versunken. Steff ging in seine Kabine und legte sich hin. Die Anstrengungen
der letzten Tage hatten ihm ziemlich mitgespielt, doch er hatte dabei das
Gefühl, dass sie dicht vor der Entdeckung der Wachstumsregion der Pflanze
standen. Es gab viele Anzeichen, die auf Europa wiesen. Die Konstellation des
Kontinentes, der Meeresspiegel, die dort heftige konvexionale Strömung und
nicht zuletzt die Lage der Positronen in der Stratosphäre.
Plötzlich merkte er, dass es schon seit einer Weile klopfte.
Er musste über seinen Gedanken eingeschlafen sein. Schnell sprang er auf und
öffnete die Tür. Kip stand vor ihm.
»Hallo«, sagte dieser grinsend, »ich sehe, du hast gerade
einen Schönheitsschlaf gehalten?«
Verlegen strich sich Steff durchs Haar und brummelte etwas
wie »Hab`n bisschen nachgedacht« vor sich hin.
»Mach dich mal einwenig frisch und komm in die Kanzel. Da
wirst du eine Überraschung erleben.«
»Was ist denn los«, wollte Steff fragen, aber Kip zog ihn
eilig am Arm. Gemeinsam liefen sie mehr als dass sie gingen die eiserne Treppe
zur Außenstation hoch.
In der Tür trafen sie Mata-Hele. Er schien schon eine längere
Zeit da zu sein, denn er eilte sogleich auf Steff zu. »Sehen Sie sich das an,
Herr Maiger. Ein unglaubliches Phänomen.« Steff folgte der
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