Amber Rain
riecht nach Desinfektionsmitteln und Krankheit. Ich bin nicht allein. Da sind andere Stimmen. Stimmen, die ich nicht kenne und die über mich reden, als wäre ich gar nicht da.
„Sie kommt wieder zu sich.“
„Gut.“
„Wie lange war sie weg?“
„Eine Viertelstunde. Das hat uns die Verkäuferin gesagt in dem Schmuckgeschäft. Sobald wir ihr die Beruhigungsmittel gegeben haben, ist sie wieder eingeschlafen.“
„Ist der Psychiater schon da?“
„Er ist auf dem Weg.“
Das Geräusch von Sohlen auf glattpolierter Oberfläche. Ein Brennen in meinem Handgelenk. Ich bin so müde. So schrec k lich müde. Ich gebe den Versuch auf, meine Augen zu öffnen, und schmiege mich stattdessen in die Dunkelheit. Ein Kra n kenhaus. Irgendwas ist geschehen, und ich bin wieder mal in einem Krankenhaus gelandet. Nur vage kann ich mich an das Schmuckgeschäft erinnern. Und an die Halskette, die ich mir für Crispin kaufen wollte. Crispin. Sein Name erdet mich. Ich raffe meine Energiereserven, um die Augen doch noch einmal zu öffnen. Ich muss Crispin anrufen, und ihm sagen, was g e schehen ist. Sicherlich macht er sich Sorgen um mich.
„Dr. Dobson?“ Das kommt von der weiblichen Stimme, die mir am nächsten ist.
„Ja.“
„Hier ist etwas, das sie sich anschauen sollten.“ Die Kra n kenschwester, ich glaube, dass es eine Krankenschwester ist, die neben mir steht, klingt anders jetzt. Verlegen irgendwie, oder peinlich berührt?
„Wir haben Zeichen von Gewalteinwirkung an ihr gefunden. Sie hat leichte Verbrennungen an ihrem Bauch und Hämat o me. Außerdem hat der Gynäkologe Abschürfungen an ihrer Vagina feststellen können. Wir vermuten, dass sie vergewaltigt wurde.“
Sofort bin ich hellwach. Ich reiße meine Augen auf und setze mich im Bett auf. Mein Kopf schwimmt von der plötzlichen Bewegung, aber ich kneife die Augen zusammen, um die Schwärze zu verdrängen. „Ich bin nicht vergewaltigt worden.“
Alle Köpfe im Raum drehen sich in einer einzigen Bewegung zu mir. In meinem Kopf wabert die Panik. Aber ich muss das klarstellen. Ich darf nicht … ich darf einen Menschen, der mir so viel gegeben hat, nicht ins offene Messer laufen lassen. Ve r trauen, das war eine der ersten Lektionen, die er mich gelehrt hat, ist das A und O in einer Beziehung. Ehrlichkeit. Die Ka r ten offen auf den Tisch zu legen, nicht mit dubiosen Zeichen, sondern klar verständlich und verbal. „Ich bin nicht vergewa l tigt worden. Ich … alles, was geschehen ist, passierte mit me i ner Zustimmung. Mein … meinem Freund ist kein Vorwurf zu machen.“
„Miss Nicholas“, die Hand der Krankenschwester tätschelt behutsam meine Schulter. „Sie müssen noch gar nichts sagen. Jemand in ihrem Zustand … „
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür und eine weitere Frau kommt ins Zimmer. Ich erinnere mich an sie. Es ist Officer Redding. Sie hat mich nach meinem Zusammenbruch an dem Abend, bevor ich Crispin das erste Mal angerufen h a be, nach Hause gefahren.
„Miss Nicholas“, in wenigen Schritten ist sie bei mir und reicht mir die Hand zum Gruß. „Gut, dass es Ihnen wieder ein wenig besser geht. Hören Sie. Der gerichtliche Gutachter ist nun hier.“
„Gerichtlicher Gutachter?“ Nur ein Krächzen aus meiner Kehle. Nicht schon wieder. Ich will nicht schon wieder jema n dem gegenüberstehen, dessen größtes Anliegen es ist, in me i nen Kopf zu schauen, nur um dann dort mit spitzen Fingern herumzustochern.
Officer Redding nickt. „Wir machen uns Sorgen um Sie, Miss Nicholas. Zwei Vorfälle in so kurzer Zeit. Wir möchten uns ein Bild darüber machen, ob es nicht besser ist, wenn Sie eine We i le in eine Einrichtung kommen, wo man besser auf Sie aufpa s sen kann.“
„Ich bin doch nicht verrückt!“
„Das sagt doch auch niemand. Dr. Holloway hat Sie bereits vor drei Wochen begutachtet. Er hat sich viel Zeit genommen, um jede Facette ihrer Phobie zu beleuchten.“
Ich höre ihr nicht mehr zu. Holloway. Dr. Holloway, der sich Zeit genommen hat, um jede Facette meiner Phobie zu b e leuchten. Das kann nicht sein. Das muss ein Zufall sein. Ein verdammter Zufall. Vertrauen, Ehrlichkeit. Nein, niemals wü r de Crispin mir das antun. Der Piepser an Officer Reddings Gürtel springt an, und im selben Moment öffnet sich die Tür. Das Licht fällt von hinten durch den dunklen Flur, und trot z dem erkenne ich seine Silhouette sofort. Ich höre das Krachen und Toben in meinen Ohren.
Mit der Gewalt eines Erdbebens der Stärke zehn
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