Amber Rain
unser Problem. Genau deshalb habe ich sie nicht verdient. Sie zu ve r lieren, geschieht mir nur Recht. „Ich bin ein solcher Idiot. W a rum bin ich nicht einfach in den Raum gegangen? Warum habe ich mich dir nicht gezeigt? Warum habe ich dich nicht gefragt, ob du mit mir ausgehen möchtest? Ich bin ein Egoist, Amber, und einer, der sich nicht binden wollte. Nie. Aber du hast mich angerufen. Von all den Leuten im Londoner Telefonbuch hast du mich angerufen.“ Ich schließe die Augen und atme tief, denke an ihre Stimme, denke an diesen Abend. „Ich habe mit dir geredet, am Telefon, weil du mich neugierig gemacht hast. Es war ein Experiment. Wie viel würde ich über dich erfahren können? Es war … nenn es pathologisches Interesse an einer Patientin mit einer Agoraphobie, ich stelle normalerweise nur die Gutachten aus, ich therapiere keine Phobiker, aber du hast mich neugierig gemacht, und ich wollte wissen, wie du tickst. Und dann warst du dort, im Club, und du warst so … tapfer. Überraschend. Einfach unglaublich. Und ich wollte dich nicht mehr gehen lassen. Ich wollte dich besitzen, von Anfang an. Ich wollte, dass du mir gehörst. Nur mir.“
Sie reagiert nicht. Habe ich wirklich gehofft, dass sie meine jämmerlichen Erklärungsversuche auch nur hört? Hören will? Welche Frau will denn hören, dass sie ein Experiment ist? War? Was auch immer? Ich hab es verdorben. Ich habe Amber Rain, das Kunstwerk, das ich erschuf, wieder zerstört. Wie ein Kind am Strand, das die prächtigste Sandburg von allen baut und dann mitten hinein springt, weil es die Sandburg um eine Pfütze herum gebaut hat und ihm plötzlich einfällt, dass es doch lieber in diese Pfütze springen will und die Burg dabei nur im Weg ist.
Ein Klopfen an der Tür durchbricht meine abschweifenden Gedanken. Ich drehe den Kopf. Officer Redding, natürlich. Immer Officer Redding. „Nun, Doctor?“, fragt sie.
Ich hebe die Schultern. „Tut mir leid. Sie spricht nicht.“
„Vor drei Wochen hat Sie das nicht davon abgehalten, trot z dem ihre Entlassung zu veranlassen.“ Sie rügt mich. Ich kann es nicht leiden, wenn ich gerügt werde, aber ich bin zu e r schöpft, um irgendwas dagegen tun zu wollen.
„Offensichtlich eine Fehleinschätzung. Ich denke, ich werde mir mehr Zeit für sie nehmen müssen.“
„Seltsamerweise hat sie aber gesprochen, bevor Sie geko m men sind“, fügt Red misstrauisch hinzu. Ja, das überrascht mich nicht. Ich weiche ihrem Blick aus.
„Haben Sie Dr. Green herbestellt? Er hat das Erstgutachten ebenfalls unterschrieben.“ Ich fasse nach der Krankenakte, die am Fußende des Bettes angepinnt ist. „Haben Sie etwas zu Schreiben für mich?“
Eine Krankenschwester bringt ein Tablett mit kleinen Pla s tikbechern mit Pillen und einem Medikament in flüssiger Form. Mit professionellem Lächeln reicht sie mir den handl i chen kleinen Block und den Stift, die sie in einer Gürteltasche mit sich herumträgt. „Bitte sehr, Dr. Holloway.“
„Danke.“ Ich notiere mir den Namen und die Telefonnu m mer der Praxis in Tottenham, wo Amber in Behandlung ist. Ich kann diese Informationen ohne weiteres aus den Datenbanken des NHS ziehen, aber ich will Zeit gewinnen. Ich will diesen Raum nicht verlassen. Ich fürchte, wenn ich weg bin, wird Amber wieder zu reden beginnen und darauf bestehen, mich nicht wiederzusehen. Und den Gedanken ertrage ich nicht.
„Dr. Green ist heute leider nicht auf Standby, Sir, und er hat bereits Feierabend gemacht“, antwortet Red auf meine Frage. „Er wird morgen früh herkommen und sich den Fall noch einmal genau ansehen. Vielleicht können Sie dann ja wiede r kommen. Sie haben den Fall ja beide gemeinsam schon einmal evaluiert.“
Und nein, denke ich, ich habe mich nicht geirrt. Amber Nicholas ist keine Gefahr für sich oder andere. Amber Nich o las braucht nur jemanden in ihrem Leben, der ihr Halt gibt. Und jetzt, verraten, zerstört, wird sie wieder ganz klein anfa n gen müssen, und ich habe das bittere Gefühl im Bauch, dass es nicht gelingen wird, sie noch einmal zu wecken. Eine zerstörte Seele, in den Sand getreten und vergessen. Ich habe das getan. Ich kann nichts mehr für sie tun. Sie will mich nicht wieders e hen.
„Da wäre noch etwas“, rüttelt Officer Redding mich noch einmal auf. „Wir werden eine Anzeige gegen Unbekannt ersta t ten müssen, wenn Miss Nicholas nicht in der Lage ist, das selbst zu tun.“
„Eine Anzeige?“
„An Miss Nicholas' Körper sind Spuren von
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