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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Staatsbürgerkunde; die Boardman hat einfach nur den Fernseh eingeschaltet, und wir schauten weiter Nachrichten. Geht nix über Schule gehn und den Tag verglotzn und sonst nada. Wir sahen zu, wie die Börse am Nachmittag zusammenbrach. Die Boardman entschuldigte sich für ne Weile, weil sie unbedingt telefonieren mußte. Boobs Klasse hat auch geglotzt, statt zu pauken, hat sie nach der Schule erzählt. Als wir daheim warn, fragte ich Mama, ob wir Aktien besitzn. Die lachte nur: »Seit Jahren nicht mehr, Engelchen, kaum hatten wir welche, mußten wir sie schon wieder abstoßen. Gottseidank, wie sich herausstellt.« Am Abend verkündete der Präsident, daß es am Anfang wohl ein wenig hart sei, langfristig aber alles seine Ordnung haben werde. Die Arschgesichter vom Fernsehn wußten auch nich weiter; das war das erste Mal, daß ich sie das habe zugeben hören.
     

20. Mai
    Alle gaga, Anne, alle sind gaga, und da gibts kein Vertun. Gleich nach seinem Fernsehauftritt wurde schon wieder der Präsident umgebracht. Ein Mob in Washington hat ihn kaltgemacht. Er wollte noch in seinem Helikopter abzischen, den die Jungs von der Luftwaffe runtergebracht hatten, aber er wurde einfach überrannt und zerstampft. Niemand wurde mit Tatverdacht festgenommen, aber das FBI verhaftet wohl ganze Viertel in Washington, die von der Nationalgarde umstellt sind, damit kein potentiell Schuldiger entwischen kann. Zuerst dachte ich, hurra, schulfrei, aber denkste: Unser Sekretariat rief alle Eltern an und informierte sie, daß der Unterricht normal stattfinden würde. Mama vermutete, das sei so, weil dieser Präsident der unbeliebteste von allen war, aber ich glaub, die Leute gewöhnen sich einfach dran, daß der Präsident ab und zu umgenietet wird. Der neue Präsident war Senator für den Staat New York, bevor sie ihn zum Vizepräsidenten auf Zeit gemacht hatten. Mama gibt ihm eine Woche. Er verkündete, er sei von den Reaktionen der Öffentlichkeit schwer enttäuscht, und es sei an der Zeit, daß Amerika sich wieder besinne. Heute war Pappis einziger freier Tag; er sah noch fern, als wir von der Schule heimkamen. Er meinte, die Regierung werde demnächst wohl das Volk auflösen. War wohl als Spaß gemeint, aber er verzog keine Miene.
    Die Sirenen heulten die Nacht durch; im Norden ständig Explosionen und ein neues Geräusch, so ein tiefes ›Wuuup‹, das abschwillt, aufhört, wiederkommt. Und ›Warnung Warnung Warnung‹ vom ›Warnung‹-Haus trötet seit Stunden. Der Wahnsinn nimmt überhand, Anne, alle drehen durch. Am Abend stand Mama gerade an der Spüle und sah nebenbei fern; plötzlich kotzte sie ins Becken. Gerade sah sie noch ganz gesund aus, daher blieben wir verblüfft sitzen und sahen ihr zu, bis sie fertig war. Dann machten Boob und ich sie sauber, während Pappi sie stützte.
    »Was fehlt dir?« fragten wir.
    »Ach, ihr Lieben, ich schäme mich ja so. Keinesfalls wollte ich euch ängstigen, aber ich konnte nichts dagegen machen. Es kam einfach aus mir heraus.« Dann brach sie in Tränen aus, verbarg den Kopf in ihren Händen und fing an, sich die Haare auszureißen, als wolle sie ne Glatze kriegen. Pappi führte sie ins Schlafzimmer und schloß die Tür. Wir dachten, die wärn gleich wieder da, aber nix. Wir hörten Mama in einem fort weinen, und Pappi flüsterte auf sie ein, so daß wir nichts verstehen konnten. Boob hämmerte an die Tür und wollte rein. Da kam Pappi raus und fragte sie, ob sie ausnahmsweise mal mit mir ihm Wohnzimmer schlafen würde. Boob lief fast Amok, gab aber schließlich nach. Sie holte ihr Kissen und legte sich auf den Boden des Wohnzimmers. »Hier unten bin ich sicher!«
    »Sicher vor mir?«
    »Sicher vor allen. Mach die Fenster zu, Booz, sonst erschießen sie uns!«
    Also machte ich alles dicht; als sie pennte, verzog ich mich in die Küche, schlaflos, die Augen weit offen.
    ›Warnung Warnung‹ ging irgendwann aus, aber draußen ist jede Menge Lärm. Ich wollte Iz anrufen, um sicherzugehen, daß es ihr gut geht, aber niemand ging ran. Ihre Mutter hätte mich eh nicht mit ihr reden lassen, selbst wenn sie dagewesen wären. Jetzt werde ich doch müde, und in der Früh muß ich raus. Gott schütze Iz.
     

21. Mai
    Iz gehts gut; sie steckte mir aber, daß die Armee durch Harlem und die Heights und Inwood schleicht und die Häuser filzt. ›Filzen‹ heißt, dasse nich klopfen, sondern durchmarschieren. Manchmal sin es Rollkommandos vom Revier midtown, manchmal bloß Bubis in Blau, wie Iz die

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