Ambient 02 - Heidern
abwärts und sahen dabei in die Fenster, an denen wir vorbeikamen. Im 5. Stock sah alles unbewohnt aus; falls da jemand wohnte, wohnte er im Dunklen. Im 4. Stock stand das Fenster offen, und das Deckenlicht war an. Der Raum, den wir erblickten, war leer bis auf eine dreckige Matratze und einen Koffer. Zu sehen war niemand. Jude wartete etwas auf der Leiter, bevor wir zum 3. Stock weiterstiegen. »Wir müssn sie n bißchen erschrecken. Gib mal her«, flüsterte sie und deutete auf einen Blumentopf, der im 4. Stock auf dem Fensterbrett stand. In dem Topf war nur Dreck. Ich reichte ihn ihr hinunter, und sie schmiß ihn so scharf sie nur konnte in Weez' Zimmer hinein. Das Zeitungspapier zerriß; wir hörten, wie der Blumenscherben zerbrach. Als sonst nichts zu hören war, schwang sich Jude von der Leiter zum Fenster und glitt leise hinein.
»Iz, bist du da?« hörte ich sie fragen. Gerade wollte ich auch hinunterklettern, als mich jemand würgte und von den Beinen riß. Einen Moment lang glaubte ich zu stürzen und ließ das Hackebeil fallen. Aber das war ein Irrtum, den jemand hielt mich umschlungen und zog mich nach oben und durch das Fenster ins Innere des Hauses. Ich trat um mich, traf aber bloß die Feuerleiter und die Mauer, verletzte mir dabei die Füße, dachte schon, meine Zehen seien gebrochen. Mit seiner Hand drückte mir der Kerl den Mund so fest zu, daß ich ihn nicht beißen konnte. Er bugsierte mich zu seiner Matratze und warf sich auf mich. Gott, Anne, war das furchtbar! Ich konnte keinen Gedanken fassen, so viel Angst hatte ich. Der Kerl, der mich da festhielt, war ein Hispanier, zwanzig oder dreißig, mit einem widerlichen Schnurrbart, der stank. Er selbst stank eigentlich genauso; der badete wohl nie! Einen Arm bekam ich plötzlich frei und schlug ihn auf den Rücken, aber es schien, als habe er das gar nicht bemerkt. Er drängte sich zwischen meine Beine und preßte sich fest auf mich, daß mir fast die Luft wegblieb; mit seiner freien Hand versuchte er mir die Hose aufzumachen. Ständig quasselte er spanisch auf mich ein, was ich ja kaum verstehe. Ich wand und wehrte mich weiter, bis seine Hand kurz verrutschte und ich ihn fest zwischen Daumen und Zeigefinger beißen konnte. Eine Sekunde ließ er von mir ab, und ich kreischte Hilfe, Hilfe. Cono, murmelte er und setzte sich fest auf mich drauf, so daß wieder Schluß mit Wehren war. Er lutschte an der Bißwunde an seiner Hand, mit der anderen schlug er mich immer wieder ins Gesicht so fest er konnte. Das hat mir die Birne ganz schön verschoben, Anne, so hart hat er zugeschlagen. Ich konnte nicht anders, ich mußte weinen.
Dann war er mit einem Mal von mir herunten, gerade als ob er rückwärts von mir wegspringen würde. Als ich nachsah, erblickte ich Jude, die ihn mit einer Schlinge um seinen Hals würgte. Jude zog den Kerl hoch. Dann sah ich Iz, die etwas durch die Luft schwang, das ihn am Kopf traf, während Jude immer fester zuzog und ihr Knie in seinen Rücken stemmte. Er wankte. Jude ließ ihn etwas nach vorne sinken, damit Iz ihm besser in die Rippen schlagen konnte. Ich lag nur da und sah zu, als ob ein Film ablaufen würde. Schließlich hörte ich zu weinen auf. Meine Füße taten weh von meinen Tritten gegen die Mauer; mein Nacken fühlte sich an, als habe er mir den Hals abgerissen. Als Jude und Iz ihn schließlich zu Boden gleiten ließen, traktierten sie seinen Kopf und Magen mit Stiefeltritten. Wortlos. Ohne Pause. Sein Gesicht war ein blutiger Brei. Er stöhnte, als würden sie ihm alle Knochen brechen.
»Für dich is auch noch was da, Lola, komm!« rief Iz. Ich erhob mich, stand auf von seiner dreckigen Matratze, mir schwindelte, dann fing ich an, ihm so fest wie möglich in den Rücken zu treten. Ich wollte ihm so stark weh tun wie ich konnte. Wie damals mit Weez: wenn der Postler in mir durchkommt, du weißt schon, der Irre in mir, Anne, dann denkt mein Reptilienhirn nur noch eins: töten töten töten. Und während ich auf ihn eintrat, passierte das wieder: Es war, als stünde die Zeit still und alles gefror zu diesem einen Moment. Ein wenig bewegte der Mann sich noch, als wir endlich aufhörten, aber nicht sehr stark. »Den hättn wir ruhiggestellt«, sagte Jude ganz außer Atem. »Abmarsch!«
Wir rannten in den 3. Stock hinunter und schlugen Weezies Tür hinter uns zu. Alle drei ließen wir uns auf den Boden fallen und versuchten, wieder zu Atem zu kommen, wieder klar denken zu können. Es war, als sei ich statisch
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