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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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und hab's gelassen, rannte statt dessen ins Wohnzimmer und zog mir die Decke über den Kopf. Hier war es mir einfach zu schizo, aber es war schon nach zehn und daher zu spät für mich, allein nach Hause zu fahren. Außer mit dem Taxi natürlich, aber dafür hatte ich kein Geld. Irgendwann bin ich weggedämmert, aber ich weiß nicht genau wann, sehr spät jedenfalls.
    Am Morgen wachte ich früh auf und zog mich gleich an. Ich mußte superdringend pinkeln, fast wäre ich geplatzt, also beschloß ich, nochmals einen Gang auf deren Toilette zu wagen. Als ich drin war, stopfte ich jede Menge Papier in das Loch und ließ es keinen Moment aus den Augen, jedenfalls solange ich saß, aber nichts geschah. Katherine muß mich gehört haben und kam zu mir ins Wohnzimmer, wo ich bereits meinen Rucksack packte. Sie sah so traurig und müde aus wie das Mädchen mit den Streichhölzern.
    »Alles tut mir so leid«, sagte sie im Flüsterton.
    »Schon okay, war ja nicht dein Fehler.«
    »Du gehst schon?«
    »Ist glaub ich besser.« Ich wollte nichts wie heim.
    »Mußt du aber nicht.«
    »Hast du schlecht geträumt gestern nacht?« fragte ich sie. Katherine sah mich nicht an, als sie antwortete: »Jede Nacht.« Sie brachte mich noch zur Tür und gab sich Mühe, sie ohne jedes Geräusch zu öffnen. »Wie kommst du nach Hause?«
    »Ich nehme den Bus zur Westside.«
    »Wir sehen uns in der Schule.« Dann packte sie mich am Arm und küßte mich schon wieder. Ich erwiderte den Kuß und erschrak über mich selbst, Anne. Bevor ich noch wußte, was wir taten, machten wir es französisch und küßten uns also mit den Zungen! Wir waren wohl beide verdattert, weil Katherine ganz grün im Gesicht war, als sie noch mit mir vor die Wohnungstür trat. »Wir sind doch nicht andersrum, weil wir das getan haben, oder?« wollte sie wissen.
    »Nein, wir haben uns nur geküßt, weil wir uns mögen«, antwortete ich, aber zumindestens in dem Augenblick hätten wir auch andersrum sein können. Ich weiß nicht, was andere davon halten, das ist jedenfalls meine Meinung. Wir flüsterten uns noch ein »Auf Wiedersehn« zu, und ich stieg in den Aufzug.
    Im Moment weiß ich nicht, wo oben und unten ist. Katherine zu küssen bringt mich allerdings bei weitem nicht so aus der Fassung wie der ganze Rest. Es sollte vielleicht andersherum sein, ist es aber nicht. Ich weiß einfach, daß mich gestern abend jemand im Bad beobachtet hat. Und es war bestimmt nicht Katherine und auch nicht ihre Mutter. Außerdem glaube ich nicht, daß Katherine im Traum gestöhnt hat, weil sich das einfach nicht nach Schlaf angehört hat. Nachdem ich aus der Wohnung draußen war, wanderte ich von der 86. Straße bis zum Broadway hinauf, weil es so schön war. Ich dachte die ganze Zeit über die gestrige Nacht nach. Jetzt schreibe ich dir schon den ganzen Nachmittag, bin mir aber nicht sicher, ob ich irgendwas so sagen konnte, wie ich es meine. Trotz »Warnung! Warnung! Warnung!« und all dem bin ich sehr froh, daheim zu sein.
    Pappi mußte heute arbeiten, wie ich merkte, weil einer der anderen Festangestellten gefeuert worden ist. Morgen muß er zu Mittag bei der Arbeit erscheinen. Herr Mossbacher arbeitet für ihn gerade einen neuen Dienstplan aus. Das schien Mama nicht gerade glücklich zu stimmen, aber sie sagte nicht mehr dazu.
     

5. April
    Eigentlich wollte ich heute gleich Katherine anrufen, hab's aber gelassen. Ich war schon dabei, den Hörer abzunehmen, aber bevor ich wählte, ließ ich alles sein und ging wieder in mein Zimmer. Boob saß auf ihrem Bett und schaukelte vor und zurück, dabei die Züge der U-Bahn nicht aus den Augen lassend. »Was ist denn mit dir los?« fragte sie mich.
    »Ich bin etwas geistesabwesend.«
    »Und worüber denkst du nach?«
    »Eine Menge Dinge.«
    »Was genau?«
    »Ich möchte nicht darüber reden.«
    »Worüber nicht reden?«
    »Halt die Klappe, Boob!« fuhr ich sie an. Boob lachte. Ich entschloß mich, ganz allein einen langen Spaziergang zu machen. Mama hat am Freitag ein neues Manuskript bekommen. Das hält sie auf Trab. Gut so. »Darf ich mitgehen?« fragte Boob.
    »Schau fern, das ist gut für dich«, erwiderte ich.
    »Ach, das fordert so viel, und gibt so wenig«, plapperte sie Pappi nach, der das andauernd sagt.
    Ich wanderte bis St. John the Divine, die einst die größte Kathedrale der Welt sein wird, wenn sie jemals fertiggestellt werden sollte. Nach Plan ist es im 22. Jahrhundert soweit. Keiner der Menschen, mich eingeschlossen, die jetzt

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