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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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der erste. Er postierte sich am gegenüberliegenden Ende des Wagens und hörte eine Weile zu. Dann unterbrach er den ersten Penner und rief, er solle das Maul halten, ob er denn noch immer nicht fertig sei, es gebe ihm doch eh keiner was. Da verzog sich der erste Penner, und der zweite fing an, daß er ein Vietnam-Veteran sei, auch AIDS habe und dringend etwas zu essen brauche. Niemand gab weder dem einen, noch dem anderen etwas.
    Um halb fünf waren wir am Excelsior, ein großer Laden, aber gerammelt voll. Bevor wir hinein durften, mußten wir wie alle anderen Schlange stehen, während Wachen alle Taschen und Tüten durchsuchten. Die Leute beschwerten sich und jammerten. Einer brüllte die Wachen an, aber die sahen ihn bloß an wie einen Irren. Endlich waren wir drin und entdeckten Pappi zusammen mit einem anderen Mann am Auskunftsschalter, wo eine Horde Kunden auf sie einschrie. Schließlich tauchte seine Ablösung auf, und er konnte den Schalter verlassen, um Mama das Buch zu geben, das sie braucht. »Michael, Liebling, danke vielmals. Können wir gleich damit zur Kasse gehen?« fragte Mama, aber Pappi winkte ab. Er müsse es erst mit nach hinten nehmen zu Herrn Mossbacher, damit der die Angestelltenformulare für den Rabattkauf unterschreiben könne, die er bereits ausgefüllt habe. Anders bekämen wir keinen Rabatt, leider. Also folgten wir Pappi den Gang hinunter in den hinteren Teil des Ladens.
    »Meine Lieben, euer Vater hat mir Geschichten erzählt, von denen ich mit Sicherheit annehme, daß sie auf purer Übertreibung beruhen. Aber sollte etwas Seltsames vor sich gehen, bitte schweigt einfach, ja?«
    »Seltsam in welchem Sinn?« fragte Boob.
    »Weiß nicht, Süße, weiß nicht. Alles Absonderliche eben.«
    Was geschah, war nicht seltsam und auch nicht absonderlich, es war fürchterlich! Am Ende des Gangs war ein großes Abteil aus Beton mit einem kleinen Lastenaufzug, in dem sie die Bücher aus dem Keller hochschicken. An diesem machte sich gerade ein dürrer, kleiner Mann zu schaffen, der genau so einen buschigen Schamhaarbart trug, wie Pappi ihn beschrieben hatte. Ja, das war Herr Mossbacher. Und er sah in seinem dreckigen, alten T-Shirt und seinen Jeans aus wie ein Obdachloser. Er sah sogar aus wie der König der Penner, einer, bei dem man in der U-Bahn das Abteil wechselt, wenn er hereinkommt, oder aussteigt, selbst wenn man noch gar nicht muß. Es war furchteinflößend, Anne, wie er sich da an den Lastenaufzug klammerte und immer wieder seinen Kopf dagegenhämmerte, dazu bei jedem Aufprall »Leck mich leck mich leck mich« sagend. Wie auch immer, er hörte auf damit, als Pappi auf ihn zukam und sagte etwas zu ihm. Eigentlich brüllte er eher Pappi an: Was denn nun schon wieder sei? Mama breitete ihre Arme leicht aus, als wolle sie uns daran hindern, näher an die beiden heranzutreten. Dabei hatte sich Boob eh schon hinter ihr versteckt.
    Pappi gab Mossbacher bloß die Papiere und der kritzelte seinen Namen darauf, dann befahl er ihm, er solle ihm die Bücher da geben. Da standen wir, umgeben von abertausend Büchern, und Pappi wußte ebensowenig wie ich, welche er ihm denn nun geben sollte. Das merkte ich, weil er ganz fickrig wurde. Herr Mossbacher rastete jetzt völlig aus. Hätte er ein Gewehr gehabt, wäre keiner mehr lebend aus dem Laden gekommen. Er trat einen Bücherstapel um, dann schleuderte er das Buch, das er gerade in der Hand hatte, einfach den Gang hinunter und traf damit fast einen Kunden. Kannst du Scheißer kannst du Scheißer kannst du Scheißer nicht einmal etwas richtig machen, explodierte seine Stimme in den Raum, dann war er auf einen Schlag die Ruhe selbst und tat so, als wundere er sich, daß ihn alle anstarrten. Er griff sich nur einen Bücherstapel auf der anderen Seite des Bücherlifts und begann, ihn nach Titeln zu sortieren. Dabei tat er so, als sei Pappi gar nicht anwesend. In dem Moment fragte ihn ein Kunde, wo irgendein Buch sei. Herr Mossbacher fuhr den Kunden an, ob er das Schild sehe, wo ›Information‹ draufstehe? Ob er das lesen könne? Falls er das nicht lesen könne, was, zum Teufel, mache er dann in einer Buchhandlung? Der Kunde wirkte eingeschüchtert und ging ohne ein weiteres Wort.
    »Muß er starke Tabletten nehmen?« fragte Mama, als sich Pappi wieder zu uns gesellte, doch der schüttelte nur den Kopf. Auf dem ganzen langen Weg zurück in den vorderen Teil des Ladens blickten Boob und ich uns immer wieder um, weil wir sehen wollten, ob Herr Mossbacher

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