Ambient 02 - Heidern
sieht, was sie ist. Ich finde ja schwarze Mädchen hübscher als weiße.
»Habla Espan?« wollte Jude wissen.
»Nein.«
»Könntest Puertoricanerin sein.«
»Bin ich aber nicht.«
»Und wohnst hier?«
»Wir sparen Geld.«
Jude lachte. Sie hat hübsche, weiße Zähne, die scharf aussehen. »Hier sparen, dort verlieren. Bezahlt wird immer. Gilt auch hier oben.«
»Genau!« sagte Iz, und beide lachten. Sie verarschten mich, und mir stank das, aber ich sagte nichts. »Unsere Schule?« fragte Jude. »Nein, Jude, wer drüben lebt, geht drüben zur Schule«, ersparte mir Iz, über meine Privatschule reden zu müssen. Also sagte ich auch nichts. Kinder, die auf eine städtische Schule gehen, glauben schnell, daß man sich für etwas Besseres hält, wenn man eine Privatschule besucht und hassen einen dann. In der 2. Klasse liefen mir einmal ein paar Mädchen nach und wollten mich verprügeln, als ich ihnen erzählt hatte, wo ich zur Schule gehe. Seither lasse ich es lieber. »Hängst du auch ab?« erkundigte sich Jude.
»Ich gehe spazieren. Aber ich geh jetzt besser heim.«
»Ja, besser so.«
»Tschau.«
»Sehn dich.«
Dann war ich also wieder daheim. Herr Mossbacher hat Pappi den neuen Dienstplan vorgelegt. Er muß jetzt an den Wochenenden die Tagschicht von 12 Uhr bis abends um acht machen, und während der Woche ist er von 4 Uhr bis Mitternacht dran. Dienstag und Freitag hat er frei. Pappi meint, das werde schon gehen, weil er so vielleicht besser zum Schreiben komme, aber ich glaube, er redet sich nur Mut zu. Ich glaube ihm kein Wort. Mama sah wieder unglücklich aus, sagte aber immer noch nichts. Was auch?
Ich glaube, daß Iz und Jude mich mögen, aber bin mir noch nicht sicher. Sie sind anders als die Mädchen auf der Brearly, sogar oder besonders anders als die schwarzen Mädchen dort. Sie entsprechen dem, was einige snobistische Mädchen, die ich kenne, ›Straßengören‹ nennen, bloß weil sie eine Städtische besuchen. Iz und Jude benehmen sich so viel reifer und älter als ich, obwohl sie das für mein Dafürhalten nicht sind. Aber in Judes Augen kann man es sehen, Anne, diese Augen sind alt, sehr alt.
6. April
Gewöhnlich schreibe ich dir ja nur Stenomitteilungen während der Woche, Anne, aber heute nicht. Ich muß dir einfach alles erzählen, was heute passiert ist, sonst zerreißt es mich. Hoffentlich ist Pappi bald zu Hause, aber nein, es ist erst 11 Uhr und mit seiner neuen Arbeitszeiteinteilung muß er ja sogar noch eine Stunde lang arbeiten.
Heute mittag in der Cafeteria hat mich Katherine kommen sehen, aber so getan, als ob nicht, also haben wir nicht miteinander geredet. Obwohl ich einerseits gerne mit ihr geredet hätte, war es mir ganz recht, daß sie so tat, als hätte sie mich nicht gesehen, weil ich sie dann ohne schlechtes Gewissen auch übersehen konnte. Diese Art von ihr ist nicht unnormal; so ist Katherine eben. Was dann schon recht seltsam war: Als ich Tanya und Susie am Nachmittag in Geschichte getroffen und gegrüßt habe, behandelten sie mich wie Luft. Nichts macht mich wütender als das: Leute, die man gut kennt, behandeln einen so, wenn man direkt vor ihnen steht! »Seid ihr taub. Ich habe ›Hallo‹ gesagt.« Da sagten sie kurz »O, hallo« und blickten um sich, als wenn ihnen meine Anwesenheit peinlich wäre oder ich sie furchtbar langweilen würde. »Warum benehmt ihr euch so seltsam?« Sie antworteten nicht; dann begann der Unterricht, und wir mußten auf unsere Plätze. Keine Ahnung, was deren Problem ist, aber ich habe selbst genug. Da kann ich mir nicht auch noch deren Kopf zermartern.
Mama tat so, als sei sie gut aufgelegt, als wir von der Schule heimkamen. »Ich brauche ein Nachschlagewerk, ihr Süßen. Und Excelsior führt es. Fahrt ihr mit, dann könnten wir es gemeinsam holen und euerem gequälten Vater Gutentag sagen?«
»Kriegen wir das Buch umsonst?« fragte Boob.
»Nein, mein Schatz, aber er darf uns Rabatt geben, das ist besser als gar nichts.«
Also gingen wir zur 116. Straße und nahmen die U-Bahn Richtung downtown. Außer zwei Pennern, die fast einen Streit anfingen, passierte unterwegs nichts weiter. Erst tauchte ein einbeiniger Penner auf. Der hopste durch den Wagen und erzählte allen, wie er vor eine U-Bahn geschubst worden wäre, daß er sein Bein und sein Heim verloren und AIDS hat, dazu kann er auch nichts essen. Dann kam der zweite Penner herein, während der erste noch nicht fertig war mit seiner Ansprache. Der roch noch schlimmer als
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