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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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gar nichts mehr sagte. Weder sie noch Pappi waren bei ihrem Seelendoktor, seit wir umgezogen sind. So, wie sie sich manchmal benehmen, sollten sie diese Besuche wieder aufnehmen.
    Es gab also nichts mehr zu sagen, also ließen wir es. Pappi hat heute ja seinen Sonderarbeitstag. Gestern bekam er seinen Gehaltsscheck mit dem 100-Dollar-Abzug, also wird es nächste Woche ziemlich hart werden. Sieht so aus, als müßten wir noch etwas mehr an den Kosten für die Reinigung sparen. Ich ging jedenfalls auf mein Zimmer und fing an, dir zu schreiben, obwohl Boob schon im Bett lag. Seit letzter Woche geht sie immer früher und früher ins Bett, als wäre sie wieder ein kleines Baby, das seinen vielen Schlaf braucht. Obwohl sie eigentlich nicht länger schläft, sondern einfach wach unter ihrer Zudecke liegt. Sie schläft meist sogar später ein als ich. Und im Traum tritt sie die ganze Zeit um sich – oder nach mir. Wenn sie morgens aufwacht, sitzt sie hin- und herschaukelnd in ihrem Bett, ›Foeti‹ im Arm, wortlos, bis sie schließlich aufsteht. Auf meine Fragen gibt sie keine Antwort.
    Na, wie auch immer, Anne, Schluß für heute.
     

18. April
    Chrissie hat heute früh mit Mama telefoniert, als wir anderen noch alle schliefen. Sie bereiten sich auf ein Leben in den Bergen vor, erzählte Mama. »Warum sollten sie das tun?« fragte ich.
    »Sie wollen sich vor den Menschen in der Stadt verstecken. Schnuckel, du weißt doch, die leiden unter Verfolgungswahn: alle Armen werden kommen und uns in Stücke hacken.«
    »Du meinst Schwarze, oder?«
    »Genau, Schwarze, Engelchen, und Mexikaner und Liberale und alle, die ihnen irgendwie komisch vorkommen. Sie spinnen einfach.«
    »Was hat sie sonst noch so erzählt?« fragte ich weiter, weil Mama einen richtig erzürnten Gesichtsausdruck hatte.
    »Bloß das übliche Zeter und Mordio von Irren, mein Schatz.«
    »Jetzt weich du auch nicht aus.«
    »Ich weiche nicht aus.«
    »Komm, was hat sie zu dir gesagt?« Mama sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, obwohl sie normalerweise ebensowenig weint wie ich. Aber sogar ich habe ja diese Woche geheult, wie ich dir schon gestanden habe.
    »Ach Schatz, deine Tante ist hervorragend im Vorwürfe machen und bringt mich immer dazu, daß ich mich miserabel fühle, ganz ihre Mutter.«
    »Also, heraus damit.«
    »Sie klagte mich an, daß alles Böse in meinem Leben jetzt auf uns zurückfiele. Daß wir Kriminelle seien, weil wir euch in New York aufwachsen lassen. Daß wir alle im Schlaf erschlagen werden würden. Daß ich eine fürchterliche Mutter sei.« Da fing sie doch zu weinen an.
    »Du weißt doch, sie ist verrückt.«
    »Natürlich, aber es ist die Art, wie sie es vorbringt; sie kann das ziemlich gut.«
    »Du und Pappi seid die besten Eltern von der Welt.« Kein Schwindel: sie mögen manchmal ziemlich schlapp sein, aber es sind meine Eltern, und lieber würde ich sterben, als bei Chrissie zu wohnen. Mama umarmte mich. »Ach Liebes, danke, vielen Dank. Ihr seid Engel, du und Boob auch. Ich hatte nur einen Aussetzer, entschuldige bitte.«
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Erzähl lieber weiter.«
    »Das Schlimmste kommt ja noch. Sie erzählte, daß San Francisco Nacht für Nacht in Flammen stehen würde, als Folge der Unruhen, aber wer weiß, vielleicht bildet sie sich ja alles nur ein. Aber möglich ist alles.«
    Es klingt vielleicht angeberisch, Anne, aber ich bin schon stolz darauf, daß ich Mama trösten und ein wenig aufrichten konnte. Chrissie ist ein Fall für die Klapsmühle; kaum zu glauben, daß wir mit der verwandt sein sollen, aber es wird schon stimmen. Wie auch immer, nach meiner morgendlichen Krisenintervention blieb ich die meiste Zeit auf meinem Zimmer, um Tess von den D'Urbervilles zu lesen, aber ich kam nicht richtig rein. Es ist einfach zu heiß, die Fenster müssen offen bleiben, der Lärm von der Straße, die schreienden Kinder, die U-Bahn, die ständig vorbeifährt. Ich weiß schon, daß ich dir mit dem ständigen Gejammere auf die Nerven falle, aber ich kann nicht anders. Das Buch ist jedenfalls noch langweiliger als Silas Marner und geht mir auch mehr auf den Wecker, weil Tess bis jetzt so eine lahme Tussi ist. Und dieser Angel ist so ein Versager; seine Handlungsweise habe ich von Anfang an vorausgesehen. Am klügsten hätte Tess gehandelt, wenn sie einfach alleine abgehauen wäre, irgendwohin, wo keiner sie kennt, und sie hätte einfach von vorne anfangen. Wäre schon schwierig gewesen,

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