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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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lackiert worden ist, stand ein alter, abgegriffener Koffer. Daneben ein Ghettoblaster und Kassetten. Von der Wand hing ein blauer Müllsack für Flaschen, aufgehängt an einigen Nägeln, und einer voller Zeug wie McDonalds-Servietten und alten Zeitungen. Die Wand war übersät mit Löchern, einige davon von Menschenhand gemacht, die anderen, knapp über dem Fußboden, sahen mehr nach Ratten aus. Überall jede Menge Kerzen, wie große Teelichter und bunte Schälchen. An den Seiten dieser Glasbehältnisse für die Kerzen waren Zeichnungen von hübschen Frauen mit Kronen und alten Männern in langen Gewändern und sogar von Jesus. Alle waren irgendwie spanisch beschriftet.
    »Hier wohnst du also.«
    »Zur Zeit.«
    »Wo leben deine Eltern?«
    »Weiß ich wo, solln mich mal.«
    »Bist du hier die ganze Zeit?«
    »Meistens, ja.«
    »Aber wo duschst du dich?«
    »Bei Iz, manchmal, dann wieder woanders.«
    »Seit wann geht das schon so?«
    »Februar.« Jude legte eine Rap-Kassette in den Ghettoblaster. Die Rapper waren voll mit Drogen und rappten so schnell, daß ich nichts verstand, die Stimmen mehr als Geräusch wahrnahm. Außer Bob Marley kannte ich keinen Namen auf den Kassetten, die meist von karibischen Gruppen stammten. Nie gehört, nie gelesen. An der Wand hing außerdem eine gerahmte Urkunde: Für herausragende Leistungen in der 6. Klasse verliehen an Judy Glastonbury. Jude ließ sich auf die Matratze nieder und klopfte mit der Hand auf die Stelle neben sich, damit ich mich zu ihr setzte.
    »Kommst du aus Jamaica, Jude?«
    »Die Eltern sind aus Barbados; ich kam in St. Lucia zur Welt.«
    »Man hört deinen Akzent.«
    »Deinen auch.« Ich wußte gar nicht, das ich einen habe. Der von Jude ist so schön. Und meiner wird wenigstens nicht so scheußlich sein wie der von Leuten aus New Jersey oder Long Island.
    »Wie is ne Privatschule so?«
    »Wird wohl so sein wie auf jeder Schule?«
    »Zweifel. Mädchen oder gemischt?«
    »Brearly. Eine Schule mit Jungs käme nicht in Frage für mich.«
    »Hör dich trapsen. Jungs sind ne Ewigkeit hirntot und vermiesen alles. Wehe, du willst lernen und nich bloß Zeit totschlagn wie sie.«
    »Gehst du denn noch zur Schule?«
    »Wasn sonst?«
    »Keine Ahnung. Du bist 14?«
    Jude nickte. »Weezie auch. Esther is 13, Iz zwölf, aber auf zack.«
    »Ich bin auch zwölf.«
    »Bekannt.«
    »Hast du Geschwister?«
    »Zwei in der Armee, zwei tot.«
    »Was ist ihnen zugestoßen?«
    »Eben abgetreten, kommt vor.« Sie sagte nicht wie, und es schien ihr lieber zu sein, wenn man nicht darüber spricht. Gegenüber des Bettes lehnte ein zersprungener Spiegel an der Wand.
    »Was meinst du, sehe ich älter aus als zwölf?« fragte ich, während ich mich so betrachtete.
    »Bist zwar groß, hast abern braves Babyface.«
    »Stimmt.« Judes Zimmer scheint mir ein klasse Ort zu sein, um dort abzuhängen, aber als Wohnung stelle ich es mir schrecklich vor. Was macht sie, wenn sie auf die Toilette muß? Keine Ahnung, ich war bloß froh, daß ich nicht mußte.
    »Wo lernst du?«
    »Nur im Unterricht.«
    »Haben deine Lehrer nichts dagegen?«
    »Überlebensfähigkeit zählt, nicht Hausaufgaben.«
    Wo Jude haust, Anne, da ist es furchtbar, wobei ich mich nach einiger Zeit daran zu gewöhnen schien und mich direkt wohl fühlte. Wie unsere Wohnung: nicht so gut wie die alte, aber doch ein Zuhause. Komisch, wie schnell man sich an veränderte Gegebenheiten anpaßt. Ich mußte mich einfach fragen, wie es mir an Judes Stelle ginge: Könnte ich hier leben?
    »Magst dein Leben?« fragte Jude.
    »Geht so. Früher ging ich gern zur Schule, aber das hat sich verändert. Na, wird schon wieder werden. Daheim ist's härter, weil wir jetzt auf einmal arm sind.« Jude erwiderte nichts. Ich dachte schon, ich hätte etwas Schlimmes gesagt, von wegen arm und so: schließlich haben wir immer noch viel mehr Geld als etwa Jude. Aber sie wirkte nicht zornig oder so was.
    »Und du, Jude?«
    »Da gibts so vieles. Und das will ich.«
    »Verstehe.«
    »So oder so, ich will es haben.«
    »Aber du verkaufst doch keine Drogen?«
    »Finger weg von Junkies! Weiß schon, denkst, kann mir nich passiern. Aber mehr weiße Junkies da draußen als schwarze, wennst dich umschaust.«
    »Ich kenne welche.«
    »Na, ich auch. Aber meistens nich lange. Iz und Esther sind auch clean.«
    »Und Weezie?«
    »Ach, hör auf. Weezie macht, was Weezie will. Die knipsn die aus, wirst sehn. Sags ihr dauernd, aber taubinger.«
    Wir schwiegen beide für eine Minute

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